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Archiv-Artikel

Die heitere Revolution

PERSPEKTIVE 1989 Die einen sprechen von „Wende“, die anderen von „friedlicher Revolution“. Einig sind sie sich: Gut, dass die Zeit der Experimente vorbei ist

Christian Semler

arbeitet seit 1989 in der taz. Er unterstützte die demokratische Opposition in Osteuropa und der DDR. Anders als die meisten westdeutschen Linken begrüßte er ohne Einschränkung die demokratische Revolution in der DDR.

Für das, was sich im Herbst 1989 in der DDR ereignete, hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch ein Begriff durchgesetzt, der jeden nur denkbaren politischen Zusammenhang neutralisiert. Man spricht von der „Wende“, ganz so, als ob es sich bei den damaligen Massenaktionen, die dem Realsozialismus ein Ende bereiteten, um ein geglücktes Segelmanöver gehandelt habe.

Gegen diese Rede von der „Wende“ gibt es heftigen Einspruch. Die damals bürgerbewegten Aktivisten beharren darauf, dass sich in der DDR eine „friedliche Revolution“ vollzogen habe. In diesem Beharren werden sie scheinbar von offiziöser Seite unterstützt. Auch die Festlichkeiten und Ausstellungen anlässlich des 20. Jahrestages der damaligen „Ereignisse“ bedienen sich des Begriffs der friedlichen Revolution. Die jeweiligen Motive freilich sind unterschiedlich bis entgegengesetzt.

Die dunklen Leidenschaften

Im offiziell-feierlichen Gebrauch hat die Verwendung des Revolutionsbegriffs eine politische Stoßrichtung, die auf den ersten Blick auf die historischen Fakten zählen kann. Ist es nicht so, dass das Ziel der Massenerhebung in der DDR ausschließlich darin bestand, sich auf schnellstem Wege dem politischen und sozialen System der Bundesrepublik anzuschließen, die schließlich beides, Freiheit und Wohlstand, verbürgte? So dass die „friedliche Revolution“ in der deutschen Einheit ihre Bestimmung fand?

Der Philosoph Jürgen Habermas hat für diese Deutung den Begriff der „nachholenden Revolution“ bereitgestellt. „Im Fall der DDR“ schrieb er 1990 in dem gleichnamigen Band, „gewinnt ‚Anschluß‘ einen buchstäblichen Sinn; denn für sie bietet die Bundesrepublik beides zugleich: eine demokratisch verfasste Wohlstandsgesellschaft“. Wenn also heute in offiziellen Verlautbarungen von „friedlicher Revolution“ die Rede ist, dann als einem glückhaft abgeschlossenen Kapitel deutscher Geschichte. Vorbei, eingeschreint, mit ein paar der ehemals Bürgerbewegten als Mausoleumswächtern.

Für viele der damaligen demokratischen Akteure, die heute auf der Benennung „friedliche Revolution“ bestehen, hat die offizielle große Erzählung dennoch etwas Unbehagliches. Das hängt weniger damit zusammen, dass es gerade die prononciertesten Vertreter des großen Aufbruchs von 1989 waren, die ursprünglich für einen „dritten Weg“ jenseits des Realsozialismus und des westlichen Kapitalismus eintraten. Dieser Weg, der Zeit für und Lust an Erneuerung mit ungewissem Ausgang und vor allem die weitere Existenz der DDR vorausgesetzt hätte, erwies sich als unvereinbar mit dem Mehrheitswillen, der lautete: „Keine Experimente mehr“. Es waren die Anhänger des „dritten Weges“ selbst, die sich schon im Lauf des Jahres 1990 von ihrem Traum verabschiedeten. Dritte-Wegs-Nostalgien der ehemals Bürgerbewegten sind es nicht, die heute ihr Unbehagen nähren.

Vielmehr geht es darum, dass in der offiziösen Rede von der friedlichen Revolution gerade das ausgeklammert wird, was sie – wie auch die anderen Revolutionen im osteuropäischen Realsozialismus – so fruchtbar für die Zukunft macht. In der Vorstellung von politischen Massenaktionen dominierte lang die Furcht vor der Entfesselung dunkler Leidenschaften, davor, dass die, die an Massenaktionen teilnahmen, ihren kritischen Verstand abgaben, dass sie sehnsuchtsvoll im Meer der Massen verschwinden, mit ihr verschmelzen wollten, wie ein „Tropfen im Ozean“ (so Elias Canetti in „Masse und Macht“).

Die Massenaktionen des Jahres 1989 zeigten ein vollständig anderes Bild: eine äußerst vielfältig gegliederte, ausgelassen stimmungsvolle Menge, entschlossen, aber gleichzeitig klug und sensibel reagierend, eine scharfe Abrechnung, aber ohne dumpfen Hass. Die Friedfertigkeit der demonstrierenden Menge war nicht nur die Folge eines taktischen Kalküls, das der Staatsmacht keinen Vorwand zur Gewaltanwendung liefern wollte, sondern drückte ein grundlegend anderes Verhältnis zum politischen Gegner aus. Es sollte Schluss sein mit der „Theorie und Praxis der Ausgrenzung“ (so eine Zeitschrift des „zweiten Umlaufs“ in der DDR), wie sie dem SED-Regime von der demokratischen Opposition vorgeworfen wurde.

„Die Neuheit“, so schrieb der englische Wissenschaftler Jeremy Adler angesichts der Prager Massendemonstrationen 1989, „bestand nicht allein darin, dass die Umwälzung unblutig verlief, sondern in der guten Laune der Menschenmenge, ihrer Stimmung, die Friedfertigkeit mit Humor verband, das traditionelle Vehikel der Unterdrückung, den sie in ein Mittel zur Überwindung ebendieser Unterdrückung umformte.“

Beschwingte Ermächtigung

Wenn heute von „friedlicher Revolution“ die Rede ist, dann als einem glückhaft eingeschreinten Kapitel deutscher Geschichte

Hört oder liest man Erinnerungen von den Aktivisten jener Tage, so ist es dieses Bild der beschwingten Kollektivität, das aufgerufen wird. Der Stolz angesichts einer politischen Selbstermächtigung ohne Hybris, verantwortlich nur der kollektiven Vernunft. War das der Kairos, der geschichtserfüllte, einmalige Augenblick, der mit dem Alltag der deutschen Einheit für immer geschwunden ist? Eher war es eine kollektive Vergewisserung dessen, was an Erfahrung, Energie und Einbildungskraft „auf Augenhöhe“ in den Prozess der deutschen Vereinigung hätte eingebracht werden können.

Wie stark dieses Hochgefühl frustriert wurde, lässt sich auch an dem Scheitern einer gemeinsamen neuen deutschen Verfassung ablesen. Die Beratung und die Volksabstimmung über diese Verfassung in der vereinten Republik hätte jenes Moment kollektiver, konstruktiver Vernunft aufgenommen, das in den Massenaktionen des Oktober und November 1989 aufschien. Die „constitutio libertatis“, die Begründung der Freiheit durch die Souveränität des Volkes, hätte in diesem Prozess ihren Ausdruck gefunden.

Wenn vormalige DDR-Bürgerrechtler wie Joachim Gauck meinen, die friedliche Revolution der DDR-Bürger sei ein Geschenk an die Bundesdeutschen gewesen, das durch keinerlei finanzielle Transfers aufgewogen werden könne, so hat er dieses für die deutsche Geschichte einmalige Legat richtig beschrieben. Er hat nur vergessen zu erwähnen, dass das Geschenk ausgeschlagen wurde. CHRISTIAN SEMLER