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: Auch lebende Tote lieben Blumen

„Journey to the Shore“ (Japan 2015; Regie: Kiyoshi Kurosawa)

Yusuke, der vor drei Jahren starb, steht plötzlich im Zimmer, Mizuki bereitet gerade Klöße zu. Sie staunt, ein wenig, dann bittet sie ihn, sich die Schuhe auszuziehen. Er war tot, nun ist er zurück. Sie traut ihren Augen.

Dankbar isst er die Klöße, als hätte sie sie für ihn zubereitet. Die Schuhe zieht er sich aus. Freundlich berichtet er ihr, wie er starb, es war ein Tod durch Ertrinken. Sie, die ihn damals lange gesucht hat, ist bereit, für den Revenanten alles stehen und liegen zu lassen. Gemeinsam machen sie sich auf eine Reise zu den Menschen, mit denen Yusuke nach seinem Tod lebte. Sie schlafen im selben Bett, aber sie darf ihn nicht berühren. Erklärungen bleiben aus. Kurosawas „Journey to the Shore“ ist ein Film, dem man sich anvertraut wie einem Traum, der schon wissen wird, was er tut.

Offenbar war Yusuke nach dem Tod nicht in ein Jenseits geraten, sondern bald zurück in unserer Welt, die nicht nur die der Lebenden ist. Er lebte bei einem alten Mann, einem Zeitungsausträger, aber auch er war ein lebender Toter. Zu ihm kehrt Yusuke, nun mit Mizuki, zurück. Mit farbigen Blumen, die er aus Zeitschriften schneidet, schmückt der alte Mann seine Wand. Die Blumen werden vergehen, alles wird sterben, der Tod ist ein kalter Hauch oder ein Nebel oder ein kurz ins Zimmer tretendes Dunkel: etwas, das das Lebende in einen etwas anderen Zustand verrückt.

Yusuke und Mizuki ziehen weiter auf ihrer Reise zur Küste. Sie arbeiten in einem kleinen Restaurant, wo sie Gyoza bereiten. In der vielleicht schönsten Szene des Films kehrt ein Mädchen aus dem Reich der Toten zurück, aber nur für einen Moment, zum Klavierspiel.

Berückend ist es, wie Kurosawa das filmt, wie er mit Einstellungen, spürbaren, aber unaufdringlichen Bewegungen und Positionswechseln der Kamera den Raum behutsam öffnet für die andere Welt in der unseren. Keiner staunt in diesem Film über den Eintritt des Toten und Fremden. Und Kurosawa versteht es, auch dem Betrachter das Staunen zu nehmen: In diesen sanften Bildern von freundlichen Menschen ist auch für die Abwesenden, und sei es für kurze Momente, noch Platz. Sie wissen um ihren Tod, sie fügen sich ins Leben zurück. Wenn auch nicht alle: Später wird einer in einem Wald voll künstlichen Nebels an der Grenze zwischen Leben und Tod heftigen Widerstand leisten.

Kurosawa ist berühmt für Filme, in denen Außerordentliches in Alltägliches tritt. Meist ist dieses Außerordentliche zutiefst erschreckend, mit „Kairos“ oder „Pulse“ galt er in den Neunzigern als Meister des neuen japanischen Horrorfilms.

Ein Mädchen kehrt aus dem Reich der Toten zurück, aber nur für den Moment des Klavierspiels

Das Genre beherrscht Kurosawa noch immer. In seinem dieses Jahr bei der Berlinale gezeigten Film „Creepy“ packt er seine Figuren und seine Zuschauer bei der Gurgel und lässt sie bis zum Ende des Films nicht für eine Sekunde mehr los. Ganz anders jedoch ist „Journey to the Shore“, der letztes Jahr in Cannes lief und in der Reihe „Un certain regard“ sehr zu Recht den Preis für die beste Regie erhielt. Eher ein Shomingeki, also ein Film über den unspektakulären Alltag ganz gewöhnlicher Menschen, ein Film wie von Ozu oder Naruse.

Der Tod, der sich hier unter die Lebenden gesellt, bricht darum nicht ein, weder ins Leben noch ins filmische Bild. Er ist ein Gefährte, die Wiederkehr der Toten ein Glück oder ein Unglück, aber kein Drama. Wobei Kurosawa dann doch an einem Punkt das Melodramatische an der Sache akzentuiert: mit einem spätromantischen orchestralen Score, der die einfachen Szenen noch einmal anders entrückt. Der musikalische Affekt tritt gewaltsam zu den Bildern hinzu. Eine Wiederkehr des Verdrängten in der Musik.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist als Import aus Großbritannien ab rund 15 Euro erhältlich