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Archiv-Artikel

Olafur Eliasson? Nie gehört

KUNST Keine Theorie, aber viel Spaß. Die Ausstellung „Imaginäre Reisen“ im Amerika-Haus soll Großen wie Kleinen spielerisch Kunst nahebringen. Möglich wurde sie nur durch die Hilfe vieler unbezahlter Freiwilliger

Die Kinder sollen lernen, Kunstwerken mit einem gewissen Respekt zu begegnen

VON KRISTINA RATH

Für eine Ausstellung ist es ziemlich laut. Kinder rennen jauchzend durch die Gänge. Das Obergeschoss des Amerika-Hauses am Bahnhof Zoo bietet mit seinen 500 Quadratmetern den Kindern und der Kunst für Kinder viel Platz. „Imaginäre Reisen“ heißt die Ausstellung, und da ist auch schon das erste Verkehrsmittel: An einem riesigen roten Schirm hängend, segelt ein Mädchen durch den Raum. Daneben ein Baumstamm, der stark nach Treibholz aussieht. Zwei Brüder, André und Fernando, balancieren darauf. Verlieren das Gleichgewicht, lachen, versuchen es noch mal. An der Wand dahinter steht ein Name: Olafur Eliasson. Darf man das, spielen mit Kunst? Man soll sogar.

„Wenn man in Europa in ein Museum geht, fühlt es sich gleich so sakral an. Alle stehen ehrfürchtig herum, und niemand sagt ein Wort“, wundert sich Laurie de Chiara, die aus New York kommt und die Ausstellung kuratiert hat. In Asien und Nordamerika sei das ganz anders. De Chiara will mit dem europäischen Habitus brechen. „Imaginäre Reisen“ soll vor allem Kindern, aber auch allen anderen zeitgenössische Kunst näherbringen. Ohne Theorie, dafür mit viel Spaß.

Das Konzept geht auf, wenn man die Kinder fragt. Fernando gefällt die Ausstellung: „Ich finde es toll, dass wir so viel anfassen dürfen.“ Sein Bruder André will sich noch ein genaueres Bild machen. Haben die beiden gewusst, dass ihr Baumstamm Kunst ist? Sie schütteln den Kopf. Olafur Eliasson? Nie gehört. Hier werden Kinder nicht belehrt, sondern begleitet, „Reiseleiter“ kommen mit ihnen ins Gespräch. Sie erklären die Werke nicht, geben keine Antwort vor. Viele von ihnen sind selbst Künstler.

De Chiara hat für die Ausstellung Objekte gewählt, die zugänglich sind und deren Deutung offen bleiben kann. Allerdings sollen die Kinder lernen, Kunstwerken mit einem gewissen Respekt zu begegnen. „Wir sind trotz allem kein Spielzeugladen“, betont de Chiara. Ein weißes Boot mit buntem Segel gleitet auf Rollen durch den Flur. Zwei Kinder sitzen darin, eines schiebt. Auch das Boot ist ein Kunstwerk. „Ablegen und ankommen“ heißt es, und das Segel war mal die Lieblingshose der Künstlerin Rebecca Raue. Sie und Laurie de Chiara sind die Gründerinnen von „artpod“, einer gemeinnützigen Unternehmensgesellschaft, die das Konzept dieser Ausstellung fest in Berlin implementieren will.

Ungenutzte Räume gebe es in der Stadt genug, meint de Chiara. Das Problem seien die Finanzen. „Wir konnten diese Ausstellung nur machen, weil uns so viele Freiwillige geholfen haben“, bilanziert sie. Werbung gab es nicht, bis auf einen Flyer. Trotzdem waren am letzten Novemberwochenende über 500 Besucher im Amerika-Haus. Vielleicht hat ein Raumpfleger etwas damit zu tun. Eigentlich kümmert er sich um das Erdgeschoss. Aus Neugier ging er in den ersten Stock. Er war begeistert und brachte seine Kinder mit. „Die hatten vorher noch nie eine Ausstellung gesehen und wollten gar nicht mehr weg“, sagt de Chiara, und die Rührung ist ihr immer noch anzusehen. Der Mann nahm einen Stapel Flyer mit – für Kita und Schule.

Wer immer noch nicht genug von der Seefahrt hat, schaut sich Guy Ben-Ners Video „Moby Dick“ an. Ein Mann und ein Mädchen, vielleicht Vater und Tochter, spielen Szenen des Klassikers nach. Das Besondere: Der Film ist in einer Küche gedreht. Der Einbauschrank ist je nach Situation Tresen, Schiffsdeck oder Koje, wir sehen die Blasfontäne des Wals aus dem Küchenboden aufsteigen, und Haiflossen ziehen bedrohlich ihre Kreise, um dann wieder abzutauchen. Das Video fesselt Groß und Klein.

In all dem Treiben gibt es aber auch Ecken, in die sich kaum jemand verirrt. Im Halbdunkel ist die Hütte eines Einsiedlers angedeutet, eine wilde Mischung aus Werkstatt und Küche. Jede Menge Kram hat sich angesammelt: Zeitungsausschnitte, Werkzeug, Gebrauchsgegenstände, ein angebissener Keks. Der Raum sieht aus wie organisch gewachsen, wie ein großes Lebewesen im Dornröschenschlaf. Nichts bewegt sich – bis auf die Zeiger der Uhr. Was ist das für ein Mensch, der hier wohnt? Wovon träumt er, wonach sehnt er sich? Wohin reist er in seinen Gedanken? Fragen, die offen bleiben müssen.

Auf dem Weg zum Ausgang fällt mein Blick auf eine Rakete aus Pappe und Sperrholz. Gerade steigt ein blondes Mädchen ein. „Das ist ein Astronautenhaus“, sagt die Kleine ernsthaft. Dann schließt sie die Tür.

■ „Imaginäre Reisen“: Amerika-Haus, Hardenbergstr. 22–24. Bis 16. 12., Mi.–Fr. 14–17, Sa.–So. 11–17 Uhr