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Die Wucht des Pinsels

Die Gemälde des russischen Malers Ilja Repin erhellen nicht nur die Suche nach einer „russischen Identität“ in unsicherer Zeit. In ihnen spiegeln sich auch die Kunstströmungen der frühen Moderne

Ein Einblick auch in die historischen und gesellschaftlichen Ereignisse der Zeit von 1860 bis zur Revolution 1917

AUS WUPPERTALKÄTHE BRANDT

Lautes Gegröle, weit ausholendes Gestikulieren. „Du türkischer Sultan, du babylonischer Küchenchef, du mazedonischer Radmacher, alexandrinischer Ziegenmetzger, Erzsauhalter des großen und kleinen Ägypten.“ Eine bunte Gruppe wilder Gesellen, die offensichtlich Spaß haben. Warum aber die rauhen Burschen sich angesichts eines Schreibens, das einer von ihnen gerade aufsetzt, so über die Maßen freuen, erfährt der Besucher erst aus der Legende: Die Saporoscher Kosaken widersetzen sich frech der Unterwerfung durch den türkischen Sultan.

Mit der sehenswerten Ausstellung „Ilya Repin und seine Malerfreunde“ erfüllt sich Sabine Fehlemann, langjährige und im April 2006 scheidende Direktorin des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, einen lang gehegten Wunsch. Als einzige Station in Deutschland zeigt das Museum rund 52 Werke Repins (1844-1930) zusammen mit 30 Gemälden seines künstlerischen Umkreises, seiner Lehrer, Schüler und Malerkollegen. Der künstlerische Kontext wirft ein Licht auch auf den malerischen Werdegang des Ukrainers, nicht zuletzt aber auf die bedeutende Sammlung der Moskauer Tretjakow-Galerie, aus der ein Großteil der Bilder stammt. Die scheinbar folkloristischen Historien- und Genrebilder wie „Die Saporoscher Kosaken“ (1880-83) oder das seltsam unfrohe Interieur „Unerwartet“ (1883), die sich sicher heute noch in russischen Schulbüchern finden, geben einen Eindruck der fremden Verhältnisse und Lebensumstände und doch wirken die Bilder vertraut. Fremd sind sie vor allem deshalb, weil wir die zugehörigen Geschichten nicht kennen. Vertraut hingegen ist die Malweise. Sie erinnert daran, dass schon im 19. Jahrhundert auch die osteuropäischen Künstler nach Westen, vor allem nach Paris blickten. Repins eindrucksvollsten Bilder sind aus heutiger Sicht sicher seine vielen schönen Porträts.

Die Studie zu dem Bild „Wolgatreidler“ (1870), welches Repins Ruhm in Russland begründete, zeigt in düster-courbetscher Manier eine Gruppe Menschen beim unwürdigen Tun. Mühevoll ziehen sie in eintönigem Auf und Ab ein Schiff am öden Ufer entlang. Das ausgeführte Werk aber, 1872 für den Großfürsten Wladimir Alexandrowitsch fertig gestellt, wird diesen Menschen auch ein Gesicht geben. Der grobe Strich, die kräftigen, aber gedeckten Farben weisen auf die malerische Auseinandersetzung mit dem französischen Realismus und der sozialkritischen Malerei des mittleren 19. Jahrhunderts oder der barocken niederländischen Figurenmalerei. Deutlich wird also, dass es den Künstlern in jenen Jahren auch in Russland nicht allein um die Erzählung, sondern auch um die Befreiung der Farbe und um eine malerische Steigerung des Ausdrucks ging. Vorsichtig noch, aber in vielen Landschaften und Porträts immer beherzter, werden die malerischen Errungenschaften des Impressionismus, aber auch der Düsseldorfer Malerschule in der russischen Malerei umgesetzt. Trotz der nationalistischen Töne, die manche Katalogtexte anschlagen, welche eine genuin russische Kunst deklarieren möchten, ist die Einbindung der russischen Künstler in einen „europäischen Kontext“ nicht zu leugnen. Walentin Serows „Porträt des Komponisten Nikolai Rimski-Korsakow“ (1898) etwa erinnert an die Farben Manets: Braun, Silbergrau, Schwarz und Rosa und an die lichte Klarheit des frühen Degas.

Der Geist jenes kritischen Naturalismus, der Malerei nicht als Schminke sozialer Zustände benutzt, sondern sich der „Wahrheit“ verschrieben hat, schaue uns aus all den Bildern an – darauf legen offenbar besonders die russischen Ausstellungsbegleiterinnen der Tretjakow-Galerie Wert. Sie scheinen die Mission verinnerlicht zu haben, mit Hilfe Repins und seiner Kollegen der „russischen Seele“ ihren Thron endlich auch in der bildenden Kunst zu errichten.

Bis 29. Januar 2006Von der Heydt-Museum, WuppertalInfos: 0202-5636231

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