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Archiv-Artikel

„Frau Merkel kann es nicht“

taz-Interview mit Hermann Heinemann, früherer NRW-Sozialminister und SPD-Bezirkschef Westliches Westfalen, über die Einigung im Berliner Machtpoker, eine Kanzlerin Merkel und die Zukunft der SPD

INTERVIEW: MARTIN TEIGELER

taz: Herr Heinemann, die SPD will Angela Merkel zur Bundeskanzlerin wählen? Wie gefällt Ihnen diese Aussicht?Hermann Heinemann: Armes Deutschland. Ich bin sicher, dass Frau Merkel das nicht kann. Das ist eine schlechte Lösung für Deutschland. Ich hätte mir einen anderen Personalvorschlag der CDU/CSU gewünscht.

Hätte die SPD also auf ihrem Bundeskanzler Gerhard Schröder beharren sollen?Nein, es ist nun einmal demokratische Gepflogenheit, dass die stärkere Kraft in einer großen Koalition den Regierungschef stellt. Ich denke aber, dass auch viele in der CDU überzeugt sind, dass Frau Merkel eine schlechte Bundeskanzlerin sein wird. Übrigens bin ich auch sicher, dass eine große Koalition mit Merkel nicht vier Jahre halten wird. Sie kann es einfach nicht.

Sie haben einmal gesagt, Frau Merkel sei „das durchtriebenste Weib, das in Berlin rumläuft“. Was kritisieren Sie konkret an der CDU-Chefin?In der Vergangenheit hat sich Merkel durchgesetzt, ohne etwas besonderes zu leisten. Sie ist durch den CDU-Spendenskandal hochgespült worden, obwohl sie dabei gar nichts wirklich aufgeklärt hat. Sie hat immer nur das aufgeklärt, was ohnehin öffentlich bekannt war. Merkel ist nicht besonders ehrlich.

Merkels Wahlkampf für Sozialkürzungen und Steuererhöhungen wurde gemeinhin als „zu ehrlich“ bezeichnet. Denken Sie, dass die SPD Merkels Programm schlucken wird?Das wäre eine Katastrophe. Nein, die SPD muss jetzt darauf drängen, dass die Arbeitnehmer nicht weiter belastet werden. Das keine Rechte von Arbeitnehmern, Kranken und sozial Schwachen zusammengestrichen werden. Sicherlich wird die SPD auch ein paar Kröten schlucken müssen. Aber es gibt einige Kernpunkte in der Sozial- und Gesundheitspolitik, wo meine Genossen nicht nachgeben dürfen. Es ist in dieser Gesellschaft an der Zeit, dass auch die Besitzenden endlich wieder einen Beitrag für die Allgemeinheit beisteuern müssen.

Franz Müntefering, Ihr früherer Genosse aus dem Westlichen Westfalen ist jetzt nach dem wahrscheinlichen Rückzug Gerhard Schröders die unangefochtene Führungsfigur der SPD. Wird die Partei ihm folgen?Ich denke, dass der Bundesparteitag diesen Kompromiss absegnen wird. Es gibt doch in Wahrheit derzeit keinerlei Alternative zur großen Koalition. Franz Müntefering kennt die Partei. Er war ja 14 Jahre mein Stellvertreter im Bezirk Westliches Westfalen. Ich hatte auch ein paar sachliche Auseinandersetzungen mit ihm, aber das ist doch normal.

Bleibt die SPD unter Müntefering auf Schröder-Kurs? Bleibt es bei der Agenda 2010?Da wird uns ja wohl nichts anderes übrig bleiben. Was jetzt anders werden muss, ist wie gesagt, der Umgang mit den Besitzenden in dieser Gesellschaft.

Ob da die CDU mitmacht?Die CDU hat jetzt keine Ausreden mehr. Der Bundesrat ist nicht mehr das Blockadeinstrument der Opposition. SPD und Union müssen jetzt gemeinsam handeln. Da werden auch die Reichen in dieser Gesellschaft einen Beitrag leisten müssen. Dass Unternehmer die Arbeitnehmer erpressen und damit drohen, ins Ausland zu gehen, wenn es nicht zu Sozial- und Lohnkürzungen kommt, damit muss jetzt Schluss sein in Deutschland.

Wie lang wird die Koalition halten? Wer wird der nächste Kanzlerkandidat der SPD?Wie gesagt, mit Frau Merkel wird das keine vier Jahre gehen. Über den nächsten Kanzlerkandidaten der SPD sollte man jetzt noch nicht reden. Der muss sich erst in den nächsten Jahren herauskristallisieren.