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Archiv-Artikel

Nude as Nude can

Und siehe: Die Modefarbe der Saison ist – die Farblosigkeit. Kein einfacher Farbton. Aber einer, der aufs Wesentliche führt: die Frau auf sich selbst und die Mode auf die Form. Eindrücke von den gerade zu Ende gegangenen Prét-à-Porter-Schauen in Paris

Noch bevor die Originale ausgeliefert sind, hängen überall die Kopien.Die nackte Wahrheit der Mode ist, dass die Originalität verschwindet

VON KATRIN KRUSE

Was könnte ein hübscherer Name für das Schauenzelt im Tuileriengarten sein? Espace éphémère, ein Raum, flüchtig wie die Mode selbst einmal gewesen ist. Gestern gingen die Pariser Prêt-à-Porter Schauen zu Ende, und sicher: Wer will, kann über Tendenzen sprechen. Der nächste Sommer, das sind knielange Röcke, schwingend zumeist, getragen zu Blusen, deren Volumen in den Schultern sitzt oder gleich im ganzen Arm. Geprägte Plissees, moderater Einsatz von Spitze, erstaunlich viele Shorts und zurückgenommene Farben, angefangen von Weiß, Beige in Abstufungen über Bronze bis zurück zur wirklich neuen Farbe der Saison: der Farblosigkeit. „Nude“ in der Mode, das ist der Miederhosenton ins Rosé gezogen. Kein ganz einfacher Farbton, weil er eine Erscheinung nur machen kann, wo sie auch ohne ihn wäre. Man kann also sagen, dass er aufs Wesentliche führt: die Frau auf sich selbst. Und die Mode auf die Form.

Es ist ausgerechnet John Galliano für Dior gewesen, der der neuen Unfarbe eine ganze Kollektion gewidmet hat. Im gerade renovierten Grand Palais, einem gigantischen Raum, hoch oben von einem um 1900 aus Glas und Eisen konstruierten Dach überwölbt, kam das erste Model auf den Laufsteg. Zu den vorigen Dior-Kollektionen verhielt es sich etwa so wie ein niedersinkender Wattebausch zu dem geradezu industriellen Lärm, der vom Band kam. Wenn es Stille gibt in der Mode, dann liegt sie in diesem Kleid: Chiffon, schmal, knapp knielang, Farbton Nude, schwarze Spitze darüber gelegt wie ein Bustier. Make up keines – keine Drag-Augen, kein Big Hair –, und es folgte Nude mit Spitze, Nude in Lagen, Nude drapiert und Nude mit Farbverlauf. Wer sich auf eine Farbe festlegt und auf ein Material – gewaschenes Leder war zu sehen, ein wenig Jeans: Nude, Nude – der konzentriert sich auf die Konstruktion. Mal waren es wenige Lagen des hauchdünnen Materials, zusammengehalten von silbrig glänzenden Bändern, die die Linien eines Korsetts oder eines Mieders nachzeichneten. Bodenlange Draperien gingen in Safran über oder in eine Schleppe in Pink. Nach der Schau ging es weiter zur Eröffnung von „Klimt, Schiele, Moser, Kokoschka: Wien 1900“, Sponsor: der Luxuskonzern LVMH. Bald flanierte man in Reihe an Gustav Klimts „Nuda Veritas“ vorbei.

Vor zehn Jahren, so erinnert die Modekritikerin Suzy Menkes in der International Herald Tribune, waren erstmals Schauenbilder im Netz zu sehen, kaum, dass das Defilee zu Ende war. Möglich, dass es „die Mode“ bald nicht mehr geben werde, so habe sie damals geschrieben, schreibt Menkes heute: die Mode als Vision eines Designers, auf den Schauen präsentiert, in exklusiven Läden verkauft und dann erst als Konzept weiter verbreitet. In der Tat, man hat sich daran gewöhnt: Die Bilder der Schauen sind zugänglich, das geistige Eigentum flottiert frei. Noch bevor die Originale ausgeliefert sind, hängen die Kopien im Massenmarkt. Die Zyklen der Mode sind kürzer geworden, was das Design selber nicht unangetastet lässt: Schnelligkeit hängt die Verfolger ab, Detailreichtum stellt sich der „Fast-Fashion“ entgegen. In der Folge wird die Qualität eines Designers immer mehr daran gemessen, wie leicht er – technisch – kopierbar ist.

Allzu große „Tragbarkeit“ ist – neben dem entgegengesetzten „Wer soll das anziehen?“ – zu einem der gewichtigsten Vorwürfe geworden, die man einem Designer machen kann. Nur, einer Modekollektion vorzuwerfen, sie sei tragbar, das ist ein wenig wie die Güte eines Architekten daran messen, dass niemand in seinen Häusern wohnen will. Die zentrale Frage ist eine ganz andere: Was ist originäres Design? Auf der Londoner Modewoche vor zwei Wochen hat erstmals eine High-Street-Kette, Top Shop, eine eigene Kollektion gezeigt. Jeder der gezeigten Entwürfe könne sich mit allen anderen Kollektionen messen, sagte der Präsident des British Fashion Council. Die nackte Wahrheit der Mode ist, dass der Begriff des Originals aus ihr verschwindet.

Nimmt man Nude nicht als Farbe, sondern als Strategie der Reduktion, dann hat man das, was eine gute Kollektion immer auch ist: die Beschränkung. Sie findet sich in der bodenlangen, sanft geschwungenen Eleganz der Kleider aus übereinander gelegter Spitze bei Rochas oder in den verfeinerten Varianten auf die Knielänge in Falten und Plises bei Veronique Branquinho. Die macht, mit türkisfarbenen, glänzenden Bustiercatsuits – wie großartig hier die sanfte Pragmatik erscheint – fast sämtlichen Outfits zugleich deutlich, dass Styling als Beigabe zur entschiedenen Silhouette funktionieren kann. Vielfalt allerdings scheint die andere Strategie zu sein. „Coco meets James Dean“, der Kollektionstitel bei Chanel. Der imaginären Begegnung verdanken sich Jeans-Ensembles für den Herrn, von grauen Bordüren gesäumt. Knielange Cardigans in Camel, ein schwarz-weißer Hahnentrittmantel mit offenen Kanten, Radlerhosen aus schwarzer Spitze, knielang ausgestellte Petticoats, schmale lange Kleider, Blusen mit Tulpenärmeln in erstaunlich kräftiger, rot-grün-blauer Farbigkeit und schwarze Tweedblousons mit Reißverschluss wie die Lederjacke James Deans. Warum sich die beiden treffen mussten, blieb ungeklärt.

Die Taschen! Kettenprint, der Henkel ein Seidentuch im selben Muster. Die Monogrammtasche in Schwarz mit bunten Fransen. Lederne, laptoptaugliche Schultertaschen in weiß oder orange mit üppigem Golddekor. Bügeltaschen, wie eine Schatzkiste mit Steinen besetzt. Der neue Louis Vuitton Flagship-Store, der diese Woche in Paris eröffnet, wird reichlich Material haben – ist doch die Mode, von pinkfarbenen Minikleidern mit kleinem Cul und Schleppenandeutung über beigefarbene geflochtene Fransenlederkleider zum engen schwarzen Lackkleid zum Wollminirock mit schlichter Bluse mit kurzem Binder ähnlich vielgestaltig. Die Schuhe sind – der Tendenz der Saison entgegen, die eher zu Schnürsandalen mit dicken Sohlen und hohem, aber kräftigen Absatz geht – von fragil-bunter Gestalt und, den strauchelnden Models zufolge, eine wirkliche Herausforderung.

Das Accessoire ist in der Mode sicher zentral – der Fokus des Laufstegs: die Taschen, Tendenz zum Schuh – manchmal aber reicht auch die Attitüde. Würdevoll Wandeln, das Köpfchen in Zeitlupe neigen und die diversen Spielarten des Blasé und Enervé über die Miene ziehen lassen. Und warum soll sich den Colliergriff nicht leisten, wem das Collier fehlt: das ist die kleine Pariser Prêt-à-Porter-Demokratie.

„Active Resistance to propaganda“: Die Kollektion von Vivienne Westwood heißt so bereits in der zweiten Saison. „I am not a terrorist, please don’t arrest me“ – die Plakette, die Westwood vor der Schau um den Hals trägt, kehrt in der Kollektion auf T-Shirts wieder. Es ist Westwoods Kommentar zu den britischen Antiterrorismusgesetzen. „Die alte Schachtel“, sagt der Kollege. Gesellschaftskritik ohne zynische Attitüde scheint eine hochnotpeinliche Affäre zu sein. Der aktive Widerstand gegen Propaganda ist so etwas wie die Selbsterziehung des Individuums gegen das Schnattern der Populärkultur: „Wir leben in einer konformistischen Welt“, sagt sie. Der Galerienbesuch ist Kultur, der Kinobesuch ist es nicht: Es mag eine überraschend kulturkonservative Position für jemanden sein, der mit Punk begonnen hat. Aber es gelingt ihr, den aktiven Widerstand in Mode zu übersetzen. Die Sachen sind verzupft, aber nicht ohne Sorgfalt im Schnitt. Die dürren osteuropäischen Mädchen sehen mit ihren dunkel geschminkten Lippen wie zornige Feen aus.

Eleganz ist gemeinhin der Kern der Pariser Schauen. Es sind die Deutschen, die zeigen, dass Eleganz nicht alles ist. Das Duo Bless ließ in der kleidsamen Kulisse einer halb überdachten Pflanzenhandlung eine Kollektion vorbeidefilieren, die ihrem konzeptuellen Ruf alle Ehre machte. Aus dünnen Zöpfen, die wie eine Kappe auf dem Kopf sitzen, werden Fransen und aus den Fransen ein Kleid. Ein grauer, schmaler Jerseyrock findet seinen Abschluss in dunkelgrauen Shorts, die auf Knöchelhöhe baumeln. Ein maisgelbes Joggingoutfit für den Herrn oder voluminöse, weiß-rot gestreifte Seersucker-Hosen. Bunte Perlen, auf ein Computerkabel gefädelt, geben den Schmuck, der Schlüsselbund wird an einem schwarzen Zauberstab gehalten: Da ist der Transformationsgedanke wirklich ausgereizt.

Bernhard Willhelm transformiert in seiner Schau den Supermann zum Supergirl. Ein Minikleid mit flatterndem Umhang, weiße „Is this the future?“-Schals. Die Seitennaht von Leggings säumt ein gezackter Stoffstreifen wie der Rückenrist eines Leguans. Zipfelkapuzen, Shirts mit kleiner Vampirschleppe und immer wieder die Supermannfarben: „The club culture is not dead“, sagt Willhelm nach der Schau. Und, dass der Minimalismus keine Lösung sei. Das nur lustige Design allerdings auch nicht.

Lutz Huelle gelingt es, Konzeptualismus in die Kleidung zu bringen – und tatsächlich kommt dabei Mode heraus. Der Strick, der fest beginnt und in lockeren Maschen endet, die Knöpfe, die klein beginnen und broschenartig aufhören, der Rock, der von vorn ein Hosenrock mit zwei unterschiedlichen Beinen ist und von hinten ein Stiftrock. Wenn eine Denkwelt erkennbar ist, dann stellt sich die Kopienfrage nicht.