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Archiv-Artikel

Macht Merkel den Stalin?

Was wird Angela Merkel tun? Übernimmt Markus Wolf das Innenressort? Kommt Horst Seehofer bei einem Jagdunfall ums Leben? Eine makabere Tagträumerei von JOACHIM LOTTMANN

Natürlich wird sie 16 Jahre lang dranbleiben. Wie Helmut Kohl? Nein, wie Honecker. Der war auch nicht mit den Gaben eines Medienpolitikers gesegnet, konnte nicht reden, nicht strahlen, nicht verführen – hatte aber diesen Machtinstinkt, das so genannte Stalin-Gen. Das hat sicher auch die Merkel. Sie hat es sogar so stark, dass Friedrich Merz froh wäre, wenn man Väterchen Stalin heute gekürt hätte anstatt die Merkelin. Aber bevor das jetzt wie eine Beleidigung rüberkommt, sage ich etwas anderes.

Angela Merkel ist süß. Ich habe sie immer süß gefunden, schon als „Mädchen“, aber auch später. Sie war und ist die einzige Frau in der Politik, die ich als solche wahrnehme, also die ich nicht als „Mann im Frauenkörper“ wahrnehme. Die Gender-Puristen werden mir zustimmen. Bei der Merkelin setzte sich weltweit erstmals eine Frau als Frau (im Gender-Sinne) durch und nicht ein Mann in Frauenkleidern (wie zum Beispiel noch bei Maggie Thatcher oder Gertrud Höhler). Das heißt keinesfalls, dass das feminine Rollenmodell der devoten Zurücknahme belohnt wurde. Auch Schröder ist ja „süß“, in dem Sinne, dass er nicht nur Funktionsträger, sondern auch noch „Mann“ ist. Deswegen mochten ihn die Wähler, so wie sie demnächst Angie mögen werden.

Wie wird nun die Politik? Wie wird das Lebensgefühl in diesen vier Jahren (oder 16 Jahren, wenn 2009 Platzeck gegen sie antritt)? Na, es wird natürlich die reine Euphorie geben! Dass eine FRAU nach sieben Jahrtausenden das Land führt, ist objektiv so sensationell und schön wie die erste SPD-Kanzlerschaft nach Ewigkeiten der braunen, schwarzen und rechtsgewirkten Herrschaften. So wie es der erste schwarze Präsident in Amerika einmal sein wird. Wer sich darüber nicht ehrlich freut, muss schon ziemlich verbockt sein. Als Zweites kommt die typisch deutsche Sehnsucht nach dem Gemeinsamen, nach der Einheit, nach dem Ende der Zwietracht. Das ist unser NS-Erbe, also unsere Demokratiefeindlichkeit. Damit ist Hitler an die Macht gekommen, und damit lässt sich auch heute noch trefflich arbeiten. Keine Parteien mehr kennen, nur noch Deutschland, hurra! Dieses neue Wohlfühl-Parlament wird trotzdem seine Zeit brauchen.

Aber die Legislaturperiode ist lang. Der Optimismus gewinnt die Oberhand. Jedes Hoffnungszeichen wird dankbar aufgegriffen und kommuniziert. Nach 15 Jahren des quälenden Nullwachstums wird diese Nation, die sich einzig mit dem Wirtschaftswachstum zu identifizieren und zu finden vermag, so fest an dasselbe glauben wie einst an den Sieg durch Wunderwaffen und Idealismus. In dieser Zeit werden sich alle Menschen wohl fühlen. Volle zwei Jahre wird es brauchen, bis sie begreifen: wieder nix. Noch immer produzieren die Chinesen billiger.

Aber vielleicht kommt alles anders. Nämlich wenn die Merkel tatsächlich den Stalin macht. Und genüsslich schweigend einen Gegner nach dem anderen abräumt, im Hinterzimmer, immer weitgehend unbemerkt, erst die Kleinen, dann die Größeren, und wenn sie sich bis Stoiber herangemetzelt hat, herrscht bereits nackte Angst im Kabinett. Auf öffentlichen Paraden wird modernes Gerät der Bundeswehr gezeigt, und bei höheren Funktionsträgern des Staates und der Wirtschaft entwickelt sich eine seltsam schrullige Vorliebe für das Tragen heller Sommerhüte. Seehofer und sein Chauffeur werden selbst im Winter damit gesichtet. Es hilft ihnen nichts mehr, beide kommen bei einem Jagdunfall auf Schloss Hubertushof um. Der Sozialstaat wird weitgehend abgeschafft beziehungsweise auf die symbolische Ebene verschoben. Die dreistelligen jährlichen Milliardentransfers in die neuen Bundesländer werden gekappt, ebenso Renten, Subventionen, Beamtenpensionen, Ruhestandsbezüge, Diäten für Politiker, Pendler, Nachtarbeiter, Schichtarbeiter, Zugereiste, Kranke, gesplittete Ehefrauen, Eigenheimschmarotzer und überhaupt alle und alles, was sich ein halbes Jahrhundert lang ungeniert aus dem Staatssäckel bediente. Markus Wolf übernimmt das Innenressort, und endlich läuft der Laden ohne Murren. Die Wirtschaft hat endlich wieder die Zuwachsraten wie in den 60er-Jahren. Die Deutschen sind gehorsam und überglücklich. Nur Schröder kriegt davon nichts mehr mit, weil er gleich zu Anfang sagte: „Mein Lebensweg sieht anders aus“, und das Land Richtung New York verließ. Ab und zu schreibt er noch eine Ansichtskarte an Müntefering, der in Bautzen einsitzt …

Schluss mit dieser makabren Tagträumerei. Und ganz im Ernst – wie soll das gehen, wenn alle wichtigen Ressorts bei der SPD bleiben? Angela Merkel könnte es erst im zweiten Anlauf schaffen. Den ersten hat ihr aber ihr Vorgänger vermasselt.

Danke, Gerd!