: Jagen, Erlegen, Werte schaffen
AUSSTELLUNG Das ganze Jahr 2012 hindurch beschäftigte sich der Kunstverein Wolfsburg mit dem Zusammentragen und Anhäufen. Zum Abschluss interessiert er sich für das Sammeln als Kunst-Praxis
Im September berichtete es sogar die überregionale Presse: Nach sechs Jahren zieht das Wolfsburger Stifterehepaar Bönsch seine Sammlung aus Braunschweig ab: rund 7.000 Grafiken, Gemälde und Skulpturen der klassischen Moderne, der Wert wird auf 25 Millionen Euro geschätzt. Das Ehepaar Bönsch kritisierte fehlendes kuratorische Interesse der Braunschweiger Verwaltung und, dass es drei Jahre keine Ausstellung aus dem Bestand gab.
Das Sammeln von Kunst ist untrennbar verbunden mit dem Wunsch nach Präsentieren des langwierig, mitunter obsessiv Zusammengetragenen. Im Kontext des Kunstsystems erfahren die archaischen Techniken also eine Erweiterung: Neben das Jagen und Sammeln tritt die Zurschaustellung der Beute als Möglichkeit der wertschätzenden Teilhabe einer Öffentlichkeit.
Noch vor dem Braunschweiger Eklat hatte der Kunstverein Wolfsburg sein diesjähriges Programm ausgerechnet dem „Sammeln, Jagen, Ausstellen“ gewidmet: Eine erste Sichtung würdigte lokale Kunstsammler, darunter – natürlich – das Ehepaar Bönsch. Man ging aber auch Ausgefallenem nach, etwa einer Sammlung von mehr als 2.000 Spiel und Dokumentarfilmen: das künstlerisch schwer einzuschätzende Vermächtnis eines Wolfsburger Steuerberaters.
Zum Jahresabschluss nun verschiebt sich die Betrachtung: Der Ausstellung „Heb mich auf!“ geht es um das Sammeln mehr oder weniger wertloser Dinge durch Künstler. Während die Sammler anerkannter Kunst ja auch auf deren Wertsteigerung hoffen, weist das – so der Untertitel – „Sammeln als künstlerische Handlung“ den Gegenständen erst einmal kulturelle Relevanz zu, lädt sie mit ästhetischem Gewicht auf.
Am radikalsten demonstriert diese künstlerische Wertschöpfung wohl der Mexikaner Francisco Montoya. Seine Sammelleidenschaft richtet sich auf abgebrannte, materiell vollkommen wertlose Feuerwerkskörper. Die arrangiert er zu einer großen Agglomeration, seiner „Ruine“ mit markantem Akzent im Zentrum.
Durchaus noch Gebrauchswert hatten die kitschigen Ausstickbilder, auf die Nives Widauer in einer pleitegegangenen Wiener Fabrik stieß. Unter dem Titel „Kleine Katastrophen“ hat die Schweizerin zwölf der Idyllen teilweise bestickt, allerdings nicht den Vorlagen entsprechend – so wird dann etwa die Wiener Oper von einem züngelnden Brandherd bedrängt.
Mit von der Partie ist auch ein Pionier eines dokumentierenden Sammelns: Für „Alle Kleider einer Frau“ präsentierte Hans-Peter Feldmann 1974 den Kleidungsbestand einer Bekannten: Kleider, Röcke, Strumpfhosen und Socken auf 69 kleinen schwarz-weiß-Fotos, eher Asservate, denn Objekte der Begierde.
Die Münchnerin Stephanie Senge verfolgt seit langem eine ganz eigene Wertschöpfungsstrategie für Verbrauchs und Wegwerfprodukte: Sie veredelt sie durch Arrangements, die mit Topoi der sanktionierten Kunstgeschichte spielen. In Wolfsburg demonstriert sie nun einen weiteren Mechanismus des (Kunst) Markts, die wertsteigernde Verknappung: Zwei ihrer konstruktivistischen Wandarbeiten, unter anderem aus Regalbrettern und Packungen von Konsumprodukten, sind da plötzlich eine „Limited“ respektive „Final Edition“.
Lesen lässt sich die unterhaltsame Zusammenstellung auch als Kritik am Eigenen: an der Werte etablierenden Ausstellungstätigkeit von Galerien, Museen und Kunstvereinen. Den Jahresprogrammen des Wolfsburger Vereins indes ist die gesellschaftliche Ambition zu Eigen: das im Wahljahr 2013 heißt „Upgrade Demokratie“. BETTINA MARIA BROSOWSKY
Bis 3. Februar 2013, Kunstverein Wolfsburg