: 3-D-Effekt mit Silikonwulst
Ausstellung Das Haus am Waldsee zeigt Werke des Malers Sven Drühl. Ein ganz eigener Beitrag in der Debatte um Simulation und Echtheit
Seine Malerfreunde an der Hochschule seien entsetzt gewesen, als er seine ersten Arbeiten in einer angesagten Kölner Galerie ausstellte, erzählt Sven Drühl gut gelaunt inmitten seiner Ausstellung „Simulationen. Landschaften jenseits der Wirklichkeit“ im Haus am Waldsee. Entsetzt waren die Kumpels, weil Drühl Landschaften zeigte. Das war noch vor der Jahrhundertwende, kurz bevor die figurative Malerei die Galerien eroberte. Drühl, nicht aus der Leipziger Schule, verbannte sogar die Menschen aus seinen Bildern. Zu narrativ seien die ihm, verrät er. Bei der Renaissance-Malerei hätten ihn auch immer nur das Gesträuch und Gebüsch interessiert.
Künstliches Gebüsch und künstlerisch verarbeitetes Gesträuch zieht Drühl noch heute an. Wenn ein Werk „CDFCDFCDFCF“ heißt, dann bedeutet das, dass er vier unterschiedliche Motive von Caspar David Friedrich verarbeitet hat. KH weist auf den japanischen Holzschnittvirtuosen Kawase Hasui hin, EK auf den Landschaftsmaler Edmund Kanoldt.
Das Rätselraten, aus welchen Werken genau Drühl sich bediente, ist ein hübscher Nebeneffekt für Kunsthistoriker. Drühls Kompositionen sprechen aber auch ohne die Referenzen für sich. Denn sie sind souveräne Experimente mit Farbschichtungen und Texturen, mit Konturen und Flächen.
In frühen Arbeiten zog Drühl die Konturen von Bergen und Gletschern, Bäumen und Gebäuden etwa mit einer dicken Silikonlinie. Die von diesen Linien eingeschlossenen Flächen kolorierte er sparsam. Aus größerer Entfernung wie Grafiken wirkend, erhalten sie beim Näherkommen durch den Silikonwulst einen dreidimensionalen Effekt.
Die seltsame Vertrautheit
Das Spiel mit den Flächen perfektioniert der einst als Mathematiker ausgebildete Künstler in seinen Lackarbeiten. Glänzenden Autolack trägt er Schicht für Schicht mit dem Pinsel auf und schafft so hermetisch glänzende Berglandschaften. Tiefenwirkung erzielt er durch unterschiedliche Texturen.
Eine Extraklasse bilden die monochromen Arbeiten. Die Konstruktion der Elemente (ein Foto aus den Dolomiten, ein Modell modernistischen Bauens aus einer Architekturzeitschrift, ein Baum von Kanoldt sowie eine Ruine von Friedrich) kann man schon in der Papierarbeit „GCISCDFNNSBPVREKCDF“ entdecken. Auf dem 2,70 Meter mal 6,75 Meter großen monochrom schwarzen Triptychon „NNSWPVREKCDF“ erstehen diese Elemente vor allem dank der unterschiedlichen Reflexion des Lichts. Sie wird beeinflusst von der Bewegungsrichtung des Pinsels: waagerecht beim Himmel, diagonal bei den Bergen, senkrecht bei den Baumstämmen, rotierend beim Laub.
Sogar eine performative Qualität ist diesen Werken zu eigen, denn je nach Standort verändern sich Licht und Bild. Einzelne Elemente fallen ins Dunkel, andere treten hervor. Hinzu kommt ein Immersionseffekt. In ein schwarzes Landschaftsbild von 2,70 Meter Höhe taucht man förmlich ein.
Von dort aus ist der Weg nicht weit in die digitale Immersion. Und tatsächlich komponiert Drühl seit einigen Jahren aus Stills von Game-Landschaften eigene Bilder.
Drühl schafft Bilder voller Künstlichkeit, die dennoch seltsam vertraut wirken. Oft sagen ihm Besucher, dass sie in diesen Landschaften gewandert seien – kaum möglich angesichts der Herkunft der Elemente, aber doch ein Zeichen dafür, wie gern die Erinnerung den Betrachter in künstliche Environments hineinmontiert. Drühls konstruktivistischer Naturalismus ist ein ganz eigener Beitrag in der Debatte um Simulation und Echtheit. Tom Mustroph
9. 9.–6. 11., Haus am Waldsee
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