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Archiv-Artikel

Schrill und ein wenig anarchisch

TANZ Er studierte Mathe in Paris, spielte Basketball in den USA – und dann sah er Pina Bausch: Samir Akika ist der neue Leiter des traditionsreichen Bremer Tanztheaters

Schauspiel hat in seinen Stücken ebenso Platz wie Pantomime, Kabarett und Zauberei

VON JAN ZIER

Etwas versteckt steht er da. Ganz am Ende der großen Bühne drückt er sich ein wenig herum, im Halbdunkel, hinter einer Säule. Während vorne, nach der Zugabe zur Premiere von „Funny, how?“, seine TänzerInnen sich gerade ihren Applaus abholen.

Nein, der Choreograf Samir Akika kommt nicht noch mal raus. Es ist sein „Kollektiv“, das für ihn zählt, die Kompanie „Unusual Symptoms“. „Stolz“ sei er auf seine TänzerInnen, wird Akika nachher sagen.

Samir Akika ist der neue Chefchoreograf des Bremer Theaters. Viele Spielarten, viele renommierte ProtagonistInnen des modernen Tanztheaters sind eng mit diesem Ort verbunden, seit Johann Kresnik es hier in den Sechzigern neu erfand. Viele, die in der Szene einen Namen haben, waren hier: Reinhild Hoffmann, Susanne Linke, fast alle, so scheint es – außer Pina Bausch.

Pina Bausch. Irgendwann kommt er immer, der Vergleich mit ihr, der Säulenheiligen des Tanzes. Und bei Samir Akika liegt er besonders nahe. Scheinbar. Ihr „Frühlingsopfer“ begeisterte ihn einst für den Tanz. Anfang der 90er war das, in Paris, und Akika – in Algier geboren und gerade Mitte 20 – hatte sein Studium zum Mathe- und Physiklehrer abgebrochen und bei seinem Vater, der ihn doch am liebsten als Ingenieur gesehen hätte, ein Sportstudium durchgesetzt. Zuvor hatte Akika in den USA gelebt, zeitweise illegal, auf der Straße, dann auf einer Ranch, Ställe ausmisten. Und Basketball spielen.

Bausch ebnet ihm den Weg in die berühmte Essener Folkwang-Hochschule, wird seine größte Förderin, protegiert ihn auf Festivals. Er widmet ihr 2007 das Stück „Me & My Mum“, das derzeit ebenfalls in Bremen zu sehen ist, bezeichnet sie als seine „zweite Mutter“. Immer wieder wird sie als sein „großes Vorbild“ bezeichnet. „Ja und nein“, sagt er, wenn man ihn danach fragt. Denn er ist keiner, der in ihre Fußstapfen treten will. Akika hat sich über die Jahre sehr stark von Bausch emanzipiert, auch wenn in seiner Kompanie fast alle aus der Folkwang-Schule kommen. Was beide verbindet, ist weniger die Ästhetik als der Gedanke dahinter. „Mich interessiert nicht, wie die Menschen sich bewegen, sondern was sie bewegt“, hat sie mal gesagt. Das ist bei ihm genauso.

Bisweilen überdreht

Tanz gilt ihm stets als ein Mittel unter vielen, seine Choreografien sind nicht gefällig, sondern eher Performances, bunt, schrill und manchmal ein bisschen anarchisch, kleine, bisweilen überdrehte Spektakel, die in assoziativen Ketten Geschichten erzählen. Schauspiel hat da ebenso Platz wie Pantomime, Kabarett und Zauberei, klassischer Gesang ebenso wie HipHop, Jazz und Techno oder ein quasi akademischer Vortrag über das, was Slapstick ist. Perfektion dagegen eher nicht. Irgendwer hat ihn mal den „Quentin Tarantino des deutschen Tanzes genannt“. Er kann damit nicht viel anfangen.

Zuerst hatte Akika ja große Vorbehalte gegen ein festes Engagement an einem Stadttheater. Das klang zu sehr nach rigiden Strukturen, nach Hierarchien, Erwartungen. Noch dazu in Bremen, mit seiner Tanztradition! Und das, wo bei „Me & My Mum“ zwei Kinder auf der Bühne rumturnen, mit ihrer Mutter. Im Theater hat so was für Naserümpfen gesorgt. Aber sie gehören in dieser vielsprachig-international besetzten „Patchwork-Familie“, wie Tänzer Frederik Rohn sie nennt, einfach dazu.

Akika arbeite „sehr intuitiv“, sagt Rohn. In vielem ist er das Gegenteil seines Vorgängers in Bremen, des Schweizers Urs Dietrich, der seit 1994 das Theater prägte. Dessen Choreografien sind getanzte Konzeptkunst in strengem, abstrakt-minimalistischem Stil. Dietrich ist eine Marke. Das ist kein Ziel für Akika und „Unusual Symptoms“. Weil es auch bedeuten kann, sich zu wiederholen. Und so wollten sie nach „Me & My Mum“ und „Extended Teenage Era“ von 2010, das in Bremen auch immer noch läuft, wegen der großen Nachfrage, nicht noch ein autobiografisches Stück machen. „Das ist auserzählt“, sagt Dramaturg Gregor Runge. Also geht es jetzt nicht mehr um das Verhältnis zur eigenen Mutter oder um die Midlife-Crisis, das Erwachsenwerden. Sondern um die Frage, was komisch ist. Und warum. Das aber auf wunderbar tiefgründige und komische Weise.

■ „Funny, how?“ wieder am 14., 17., 22. und 29. Dezember im Theater Bremen, Kleines Haus