: Die Einfalt kommt ins Dorf
Den Bücherketten gehören die Städte, der private Buchhandel überlebt in den Vororten. Bisher war das der Status quo. Jetzt eröffnet die Mayersche Buchhandlung gleich vier Filialen abseits der Zentren
von JOHANNES SCHNEIDER
Hausnummer 36 die eine. Hausnummer 61 die andere. Dazwischen liegen immerhin noch 25 Häuser. Heidi Nolte und ihre „Buchhandlung“ haben Glück im Unglück gehabt. Das Unglück: Am 20. Oktober wird die Mayersche Buchhandlung eine Filiale in Noltes Dortmunder Stadtteil Hombruch eröffnen. Das Glück: Das leer stehende Textilgeschäft, in dem sich die Buchhandelskette niederlässt, liegt am anderen Ende der Fußgängerzone. Allzu lang ist die zwar nicht – Hombruch ist nur ein Vorort mit etwa 40.000 Einwohnern – aber im Gegensatz zur Konkurrenz von HomBuch, Hausnummer 80, hat Nolte den Großbuchhändler wenigstens nicht direkt vor der Tür.
Die Neueröffnung sorgt derweil nicht nur auf der Hombrucher Hauptstraße für Unruhe. Besitzergeführte Buchhandlungen im ganzen Ruhrgebiet befürchten nun die Okkupation der Vororte durch die Mayersche Buchhandlung. Die Angst ist alles andere als unbegründet: Zwischen dem 20. September und dem 20. Oktober eröffnet das Aachener Unternehmen gleich vier neue Filialen – neben Hombruch trifft es Herne, Neheim und Gelsenkirchen-Buer.
Heidi Nolte plagt derweil die nackte Angst: „Man ist viel zu schnell in der Schuldenfalle“, sagt sie, rechnet mit 30 Prozent Umsatzeinbußen und mit einem fast gänzlichen Ausbleiben der Laufkundschaft. Der Kampf ist ungleich: Der Laden, den Nolte zusammen mit einer Halbtagskraft betreibt, misst 60 Quadratmeter, die Mayersche wird in Hombruch ein Ladenlokal von 400 Quadratmetern Größe beziehen. Und den Verlockungen im Eingangsbereich der Mayerschen, der Masse preisreduzierter Bücher zum Mitnehmen, „können wir wenig Sichtbares entgegensetzen“, sagt Nolte selbst. Die Buchhändlerin scheint resigniert, fühlt sich allein gelassen: „Die Mayersche bekommt kostenlose PR von den lokalen Medien und wird von der Politik hofiert. Nur, weil sich alle dadurch gebauchpinselt fühlen, dass die großen Mayers sich für einen Vorort interessiert.“
Dieses Interesse ist neu. Das Aachener Familienunternehmen, derzeit Nummer fünf unter Deutschlands Großbuchhändlern, hatte das Ruhrgebiet seit Anfang der 90er Jahre von Südwesten aufgerollt, sich dabei aber auf die Stadtzentren beschränkt. Von einem Strategiewechsel möchte Geschäftsführer Hartmut Falter trotz der vier dezentralen Neueröffnungen aber nichts wissen: Die Standorte seien nach Marktforschungsergebnissen und Immobilien-Angebot ausgewählt worden.
„Das primäre Ziel der Mayerschen ist doch, uns kaputt zu machen“, sagt Mechthild Roweda von der Urbanus-Buchhandlung in Gelsenkirchen-Buer. Und jetzt gehe man eben gezielt dorthin, wo den Mayerschen Innenstadtfilialen noch Kundschaft abgegraben werde. Einen anderen betriebswirtschaftlichen Nutzen kann sie im neuen Konzept nicht sehen: „Die müssten hier am Standort schon allein wegen der Ladenmiete sechs- bis siebenmal so viel umsetzen wie wir. Und Kunden backen können die sich auch nicht, zumal in Zeiten sinkender Nachfrage.“ Deshalb ziele die Mayersche direkt auf den Kundenstamm der Alteingesessenen. In Buer hat der Buchdiscounter seinen Eröffnungsmarathon vor drei Wochen begonnen, Roweda hat das Ausbleiben der Kundschaft bereits im eigenen Laden erfahren. Und sie versteht es nicht: „Wir haben einen Internetauftritt, wir haben einen Bringdienst, wir können die Bücher genau so schnell bekommen wie alle anderen auch.“
„Es gibt Dinge, die die Kleinen sogar besser können“, sagt Andreas Peppel vom Einzelhandelsverband Westfalen. Dazu gehörten Beratung und Kundennähe ebenso wie Ausbildung und Beschäftigung. Die Zahl der Beschäftigten sei im Einzelgeschäft gemessen am Kundenvolumen wesentlich größer als bei Ketten. Trotzdem begrüßt Peppel auch die Initiative der Mayerschen: „Es ist für niemanden gut, wenn der Leerstand wächst und ganze Ortszentren mit Ein-Euro-Läden ‚downgetradet‘ werden.“ Die Gefahr habe bei dem Hombrucher Ladenlokal bestanden.
Gleichzeitig unterstützt der Verband die kleinen Buchläden, zum Beispiel mit dem „Lesen in Dortmund“-Projekt (LiDO). LiDO meint den Zusammenschluss sieben inhabergeführter Buchhandlungen. Mit Hilfe einer Beratungsagentur entwickeln die gemeinsame Vermarktungsstrategien, ein eigenes Profil, ein eigenes Corporate Design, ein Kulturprogramm – Dinge, die man braucht, um nicht nur sympathischer, sondern auch besser zu sein als die große Konkurrenz. Pikant: Zum Zusammenschluss der sieben Buchhandlungen gehört auch HomBuch, der Buchladen, der der neuen Mayerschen in Hombruch schräg gegenüberliegt. Mit LiDO im Rücken reagiert man hier aber gelassen auf den Riesen vor der Ladentür. Im Juli wurde sogar noch eine zusätzliche Stelle geschaffen. Mit vier Voll- und drei Teilzeitkräften versucht man hier, sich als Beratungsbuchhandlung vom „Buchkaufhaus“ auf der anderen Straßenseite abzusetzen.
Kampflos geschlagen geben will sich auch Mechthild Roweda in Buer nicht: „Wir sind gestandene Buchhändlerinnen, wir haben so viel gelesen, wir kennen unsere Bücher in einer Weise, da können die jungen Leute bei Mayer nur von träumen“, sagt die 47-jährige und spielt darauf an, dass bei „Mayer“ nur Leute unter 30 eingestellt werden. Davon, dass die Mayersche den Beratungsmangel durch eine größere Auswahl kompensiert, will sie nichts wissen: „Die Großbuchhandlungen orientieren sich an den Bestsellerlisten und die Verlage orientieren sich wiederum an den Großbuchhandlungen.“ Das Ergebnis sei Einfalt, 500er-Stapel Harry Potter. „Aber Buchhändler, die ihr Sortiment selbst zusammenstellen, stoßen auch auf abseitigere Dinge und empfehlen diese dann mit Begeisterung.“ Dadurch entstünden Trends jenseits der Marktmaschine: Heimliche Bestseller.