Die Kreuzzügler lauern überall

Literatur Fromm, aufrecht und bereit, ihr Leben für die Sache zu geben. In ihrem Roman „Das Mädchen und der Gotteskrieger“ erzählt Güner Yasemin Balcı die Geschichte einer Radikalisierung

Affef Gharsalli rekrutierte in Tunesien Mädchen für den Dschihad Foto: Chris Huby/laif

Von Nina Apin

Ein Unbekannter, der Zärtlichkeiten ins Handy raunt, und eine neue Freundin, die mit Ratschlägen und Nussgebäck den Weg in eine verschworene Gemeinschaft weist: Nimet Kaya aus Berlin ist 16 und im Begriff, ein Abenteuer zu erleben, das sie sich an leeren Nachmittagen zwischen WhatsApp-Nachrichten und Shopping-Mall-Besuch herbeigesehnt hat.

Nimets Romanze unterscheidet sich allerdings grundlegend von den türkischen Fernseh-Soaps, denen ihre Mutter Sibel erlegen ist. Und auch von der komplizierten Beziehung ihrer Schwester, die alles tun würde, um ihren Baran zu heiraten – obwohl sie als Nicht-mehr-Jungfrau von dessen Mutter nicht als potenzielle Ehefrau akzeptiert wird. Nimets Traum ist radikaler: Eine Dschihad-Braut will sie werden. Fromm, aufrecht und bereit, ihr Leben für eine heilige Sache zu geben, von deren Dringlichkeit sie andere so beredt überzeugen, dass sie sich eines Tages in einen Lastwagen setzt, der sie über die syrische Grenze bringt.

Güner Yasemin Balcıs neuer Roman „Das Mädchen und der Gotteskrieger“ ist die fiktive Geschichte einer Radikalisierung. Und der Versuch, eine drängende Frage unserer Zeit zu beantworten: Warum schließen sich so viele in westlicher Freiheit aufgewachsene junge Frauen freiwillig der Terrormiliz Islamischer Staat an? Nach Angaben des Verfassungsschutzes sind bisher rund 100 Frauen aus Deutschland in die Kampfgebiete in Syrien und den Irak ausgereist, mehr als die Hälfte waren zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 25 Jahre alt, rund 15 Prozent waren minderjährig. So wie Nimet.

Die türkischstämmige Autorin und Fernsehjournalistin Güner Balcı hat sich, nach ihren bekannten Vorgängerbüchern „ArabBoy“ und „ArabQueen“, erneut auf eine Erkundungsreise in die Köpfe migrantisch geprägter Großstadtjugendlicher gemacht. Wieder baut sie dabei auf ihre intime Kenntnis türkisch-arabischer Milieus auf, um ein Leben nachzuzeichnen, das so oder so ähnlich in Berlin-Neukölln, Köln-Meschenich oder Duisburg-Marxloh stattfinden könnte.

Nimet, die Oberschülerin, die gern mit ihrer besten Freundin Cayenne tanzen geht und Jungs provoziert, trifft eines Tages Cayennes Cousine Nour, „diese schmale, großgewachsene und dominant auftretende Frau, die ihr Kopftuch so straff gebunden trug, dass sie kaum noch den Mund bewegen konnte“. Die von den anderen verächtlich „Schleiereule“ genannte Konvertitin, die in ihrem früheren Leben Jacqueline hieß, nervt Nimet anfangs mit ihrer frömmelnden Selbstgerechtigkeit. Doch Nour schleicht sich in ihren Alltag und führt sie an die Frauengemeinschaft einer salafistischen Moschee heran. Dann kommt scheinbar zufällig eine WhatsApp-Nachricht von einem Unbekannten namens Saed, der in der Türkei lebt. Oder vielleicht auch in Syrien.

Nour und Saed – geschickt lenkt dieses Duo die Identitätssuche eines ganz normalen Teenagers in radikale Bahnen. Offensichtliche Ungereimtheiten drückt Nimet weg, zu kostbar ist ihr die neu erfahrene Gemeinschaft. Sie, die nie zuvor gebetet hat, engagiert sich immer stärker in der Moscheegemeinde, legt das Kopftuch an, entfremdet sich von ihrer Familie.

Die alleinerziehende und überforderte Mutter mobilisiert zu spät ihren Widerstandsgeist gegen das Hinterwäldlertum, das sich in ihrem Haus breitmacht: „Sibel zeigte mit spitzem Finger auf die Atatürk-Bronze, die glänzend auf einem marmornen Sockel hinter der Glasscheibe stand. ‚Das ist es, woran wir glauben. Wir glauben an die Freiheit, an die Demokratie.‘ “

In der Welt der Dschihadisten herrschen andere Normen: „Geh nicht zu Lidl, das gehört Juden“

Nimet ist da längst im Sog einer anderen Welt, in der andere Normen herrschen: „Geh nicht zu Lidl, das gehört Juden, kauf nicht diese Schuhe, die werden von Zionisten produziert, iss nichts vom deutschen Bäcker, der verwendet Schweineschmalz, und vor allem: Achte auf die Produkte, die du kaufst, denn überall lauern die Kreuzzügler, die Feinde des Islam, die auf der ganzen Welt gegen unseren schönen Glauben kämpfen.“

Es ist bemerkenswert, wie präzise Balcı diese Jungmädchenträume nachzeichnet, ohne sie dabei zu denunzieren. Die rigiden Verhaltensregeln des Salafismus, die Nimet Halt geben, die in Internetportalen vorgegaukelte heile Dschihadistenwelt, in der schwarz verschleierte Frauen für den Mann, der rechtschaffen müde von der Front kommt, das Abendessen bereiten und sich ansonsten um nichts Sorgen machen müssen. Wie wenig das alles mit der Realität zu tun hat, wird Nimet erst klar, als sie in einem vergitterten Haus in Rakka festsitzt.

„Das Mädchen und der Gotteskrieger“ ist ein packender Roman mit authentischer Sprache, der nichts erklärt, aber einiges erhellt. Dass der Verlag diesen Roman partout als „Reportage“ und „Sachbuch“ deklarieren will, ist ärgerlich. Denn das falsche Echtheitszertifikat rückt die Doku-Fiction in die Nähe der Kolportage. Das hat die Autorin, die selbst in ihren Lesungen das Fiktionale ihrer Arbeitsweise betont, nicht verdient.

Güner Yasemin Balcı: „Das Mädchen und der Gotteskrieger“. Fischer, Frankfurt am Main 2016. 320 Seiten, 19,99 Euro