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Sanfte Aufforderung ans Ungetüm

Brüche DJ Lena Willikens hat in Düsseldorf das Auflegen für sich entdeckt. Inzwischen mischt sie Tanzflächen auf der ganzen Welt auf und produziert selbst. Nun hat sie zwei Engagements in Köln und Berlin

Als sie nach Düsseldorf zog, entdeckte Willikens die lokale Musikgeschichte: Krautrock, Ata-Tak Foto: Phil Struck

VON Christian Werthschulte

Eine der großen unbeantworteten Fragen der Gegenwart ist die, was einen guten DJ ausmacht. Sind es die Skills hinter dem Mischpult? Ist es die Fähigkeit, mit dem Publikum zu kommunizieren? Oder ist es die Auswahl der Stücke, die zwischen eingängigen Hooks und seltenen Fundstücken changiert, damit sich weder die Tänzer noch die Plattennerds vor dem DJ-Pult langweilen?

Bei der Kölnerin Lena Willikens fällt die Antwort leicht: Es ist der Mut zum Bruch. „Ich wiederhole mich ungern, deshalb probiere ich in jedem Set etwas neues aus“, erzählt sie in der Sommersonne vor einem Kölner Café. Willikens Sets sind eklektische Miniaturen, in denen viele Genres einen Platz finden – House trifft auf elektrifizierten Desert Blues aus Nordafrika und endet in einem Rhythm-Noise-Stück, das die finnischen Minimalelektroniker Pan Sonic gemeinsam mit dem gerade verstorbenen Suicide-Sänger Alan Vega aufgenommen haben. „Es geht darum, Menschen im richtigen Moment zu überraschen“, sagt Willikens. „Ich spiele selten Stücke, die die Leute wiedererkennen, sondern meine eigenen Hits.“

Letztlich sind an Willikens DJ-Laufbahn Punk und Dub schuld. Als Teenager hat sie diese Musik gesammelt, bevor sie nach der Schulzeit in Stuttgart mit ihrer Plattensammlung nach Düsseldorf gezogen ist, um dort an der Kunstakademie zu studieren. „Ich habe dann die ganze Musikgeschichte Düsseldorfs für mich entdeckt: Krautrock, NDW, das Ata-Tak-Label. Für mich war das alles neu und total spannend.“ Egal, ob Krautrock oder Punk – Popmusik und Kunst gehen in Düsseldorf meist Hand in Hand. Die letzte Inkarnation dieser Linie ist seit Mitte der Nullerjahre der Salon des Amateurs, ein kleiner Club in der brutalistischen Kunsthalle am Rande der Düsseldorfer Altstadt, der zugleich als Museumscafé fungiert. Betrieben wird er vom DJ und Musiker Detlef Weinrich (Toulouse Low Trax) und dem DJ Vladimir Ivkovic.

Ein Abend im Salon hat etwas Unberechenbares: Auf ein Disco-Stück kann ein Oldschool-Techno-Track aus Detroit folgen oder ein obskures Lo-Fi-Synthie-Experiment aus den frühen 80ern. „Der Salon hat sich ein Publikum erzogen“, sagt Lena Willikens. Sie hat hier zunächst hinter der Theke und dann als Türsteherin gearbeitet, bevor sie anfing, aufzulegen. „Wir haben uns dort regelmäßig Musik vorgespielt“, erzählt sie. „Detlef hat Cosmic-Disco-Maxis mitgebracht, ich meine Post-Punk-Platten. Dazu kam dann noch Vladimir mit seinem riesigen Fundus an obskuren Alben.“

„Ich spiele selten Stücke, die Leute wiedererkennen, sondern meine eigenen Hits“, sagt sie

Willikens erzählt gern von Produzenten und DJs, die sie interessant findet. Nicht, um mit ihrem Netzwerk anzugeben, sondern weil sie weiß, dass Musik am besten funktioniert, wenn unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, was in der hetero-männlich geprägten DJ-Szene nicht immer der Fall ist: „Ich freue mich immer, wenn ich nicht die einzige Frau im Line-up bin“, sagt sie. „Es geht darum, tolle Musik zu teilen und in eine Form zu bringen, die eine Geschichte erzählt.“ Wie sich diese anhört, ist von Ort zu Ort unterschiedlich: „In Japan ist die Reaktion der Leute am tollsten. Dort kann ich um fünf Uhr morgens zehn Minuten lang Musik ohne Beat laufen lassen.“

Willikens DJ-Sets auf der ganzen Welt haben nur einen Nachteil: Sie findet nur selten Zeit, um in ihrem kleinen Heimstudio herumzuexperimentieren. „Mir fehlt ein wenig die Balance, wenn ich nur im Clubkontext unterwegs bin“, sagt sie. Letztes Jahr hat Willikens ein Mini-Album aufgenommen. „Phantom Delia“ heißt es. Seine Musik wird dominiert von kurzen Arpeggios, leicht verstimmten Synthesizern und Drumcomputern, die in mittlerer Geschwindigkeit vor sich hin spielen. Ihr Stück „Nilpferd“ ist eine Hymne für alle ADHS-Geschädigten, ein sanft brütendes Monster aus im Nirgendwo verschwindenden Sequenzen und der sanften Aufforderung an das Ungetüm, sich doch mal ein wenig zu konzen­trieren – Homerecording mit Art-School-Touch, aufgenommen auf Vintage-Equipment.

„Es geht mir nicht darum, mit alten Synthesizern anzugeben“, meint Willikens. „Mir gefällt einfach die Idee, mit wenig Equipment zu spielen, ein Sound, der sich nicht zu ernst nimmt.“ Bald werden verschiedene Remixe von ihr erscheinen. Kommendes Jahr geht sie für drei Monate ins japanische Kioto, um dort an „Phantom Kinoballett“ zu arbeiten, ihrem gemeinsamen Projekt mit der Künstlerin Sarah Sczesny. „Das ist eine Art psychedelisches Hörspiel. Sarah hat Wortfetzen und Dialoge gesammelt und Kostüme für uns geschneidert, ich spiele die Musik dazu“, erzählt sie, bevor sie sich auf den Weg zurück nach Düsseldorf macht. Im Salon spielt an diesem Abend ein Techno-Noise-Produzent aus Japan. Den will sie keinesfalls verpassen.

Lena Willikens: „Phantom Delia“ (Cómeme/Rough Trade)

Live: heute Köln, c/o pop-Festival; morgen, 27. 8., Berlin Atonal Festival

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