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Archiv-Artikel

Merkel macht müde Menschen munterAttac

Eine große Koalition will Deutschland regieren. Das weckt Erinnerungen an die goldenen Zeiten der außerparlamentarischen Opposition. Sind die linken Projekte und Initiativen bereit für den großen Protest? Die ersten Gruppen machen schon mobil

„Die eigene Arbeit wird kontrastreicher“, sagt Carl Waßmuth von Attac Berlin über die Veränderungen in der Regierung. Entsprechend verspricht er sich einen Zulauf an neuen UnterstützerInnen für Attac. Eine starke außerparlamentarische Opposition, wie sie in den 60er-Jahren entstanden ist, schließt er jedoch aus. „Denn die grundlegenden Probleme sind nicht national, sondern nur international zu lösen. Wir benötigen daher eine globale Bewegung“, sagt Waßmuth. Deswegen wird man bei Attac auch weiterhin den Schwerpunkt auf internationale Themen setzen. Große Veränderungen in der Bundespolitik seien sowieso nicht zu erwarten, ist er überzeugt. Deswegen sei das momentane Ministerraten für seine Organisation auch wenig interessant. Vielmehr wartet man bei Attac auf die politischen Inhalte, die die große Koalition umsetzen wolle. „Wir sitzen in den Startlöchern, um entsprechende Aktionen zu organisieren, sobald die neue Regierung ihre Pläne vorstellt.“ BE

Antifa

Für die Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ist es egal, welche Partei welchen Minister stellt. Einen großen Unterschied zwischen CDU/CSU und SPD sieht die Antifa sowieso nicht. „Und ob nun Schäuble (CDU) oder Beckstein (CSU) Innenminister wird, ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Doch Schily war auch nicht besser“, meint ALB-Sprecher Johannes Reyersbach. Die große Koalition habe jedoch einen Vorteil gegenüber Rot-Grün. „Mit Merkel wird es mehr Öffentlichkeit für Proteste geben“, hofft Reyersbach. Unter dem Deckmantel der SPD und dem der Grünen könne man dem Volk unsoziale Reformen besser verkaufen. Dies sei nun nicht mehr möglich. Konkrete Aussagen über die zukünftige Oppositionsarbeit gibt es noch nicht. Nur so viel: Die Zusammenarbeit mit der Linkspartei und der WASG sowie anderen linken Initiativen soll ausgebaut werden. Zusammen könne man so linke Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. AM

Schwulenbewegung

„Homosexualität ist in der Öffentlichkeit enttabuisiert“, meint Marcel de Groot von der Schwulenberatung Berlin. Auch das Lebenspartnerschaftsgesetz sei verabschiedet. Solche Entwicklungen werde eine Kanzlerin Merkel nicht rückgängig machen können. Probleme sieht de Groot anderswo: „In Berlin gibt es die Gefahr, dass Randgruppen finanziell wieder schlechter gestellt werden, weil sie in Zeiten knapper Kassen plötzlich als Luxus gelten.“ Auch die Stigmatisierung Kinderloser, die Propagierung der klassischen Familie als gesellschaftlichem Wert an sich, werde von Homosexuellen genau beobachtet. Dahinter verbergen sich laut de Groot subtile Ausschlussmechanismen: „Entsolidarisierung etwa“. Dass es zu einer neuen Protestbewegung kommen wird, wagt er dennoch nicht zu sagen. Dabei sind ihm Stimmen aus der schwulen Szene bekannt, die sich heute radikaler anhörten, als sie es in den vergangenen Jahren taten. WS

Initiative gegen Bankenskandal

Wieder einmal werde die Lüge erzählt, dass Wachstum mehr Arbeitsplätze bringe, sagt Peter Grottian, Mitbegründer der Initiative gegen den Bankenskandal und Organisator von Montagsdemonstrationen. Darüber hinaus habe die große Koalition keine Idee, menschenwürdige Arbeit zu schaffen. Da sei es kein Zufall, dass es für den Arbeitsminister noch keine Besetzung gäbe. Gegen diese Ideenleere sollten die Bewegungen ihre Vorschläge setzen: ein echtes Mindesteinkommen zum Beispiel. Grottian kündigt an, mehr provozieren zu wollen: „Wir brauchen mehr Regelbrüche.“ So sollen Wohnungen, aus denen Hartz-IV-Empfänger rausgeworfen werden, blockiert und Agenturen für Arbeit besetzt werden. Von Großdemonstrationen rät Grottian hingegen ab: „Derzeit gibt es zu wenig Potenzial für ein solches Großereignis, und wenn es misslänge, würde es der ganzen Bewegung schaden.“ DAS

Anti-Atom-Bewegung

Keine Frage, mit der großen Koalition hält die atomfreundliche Politik wieder Einzug in Berlin. Davon ist Anti-Atom-Aktivist Jan Ungerer überzeugt. Auch wenn es den Grünen gelang, den Nichtausstieg als Ausstieg zu verkaufen – grundsätzlich lehnten sie diese hochriskante Technologie ab. Da wehe nun ein anderer Wind, so Ungerer. Am bereits ausgehandelten Ausstiegsgesetz wird sich seiner Meinung nach zwar nicht viel ändern. Der Kompromiss habe den Stromkonzernen so viel Spielraum ermöglicht, dass nicht mal sie an einer Neuauflage von Verhandlungen interessiert sind. Bei neuen Atomanlagen sehe es aber ganz anders aus. Da würden künftig CDU-Vertreter den Ton angeben. Ob es aber deswegen auch zu einem neuen Protestaufschwung kommt – Ungerer ist da skeptisch. Auf die Grünen wird die Anti-Atom-Bewegung zumindest nicht mehr setzen. „Da war die Entfremdung der vergangenen sieben Jahre einfach zu groß.“ FLEE

Kampagne gegen Wehrpflicht

Für die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär ändert sich durch die angepeilte neue Regierung so gut wie nichts. Denn eine „große Koalition gab es schon die letzten sieben Jahre“, sagt Ralf Siemens von der Kampagne. „Bei verteidigungspolitischen Themen waren sich SPD und CDU doch fast immer einig.“ Auch von den Grünen in der Opposition erwartet er keine neuen Impulse. „Die haben den Kurs ja mitgetragen und werden jetzt keine Kehrtwende machen.“ Eine andere Ausrichtung der Aktionen wird es daher auch nicht geben. Ob Peter Struck oder Jörg Schönbohm zum 50. Jubiläum der Bundeswehr beim Zapfenstreich am Reichstag erscheint, sei für die Aktionen der Kampagne unwichtig. Nur am Ton wird sich etwas ändern, glaubt Siemens. Deswegen würde er sich auf Schönbohm als Verteidigungsminister freuen: Durch seine radikale Art sich auszudrücken würde er polarisieren und damit Protest hervorrufen. BE

Frauenbewegung

„Der Mailverkehr zwischen den Feministinnen tobt schon“, sagt die Berliner Aktivistin Hanna Bendkowski. „Die Frauenbewegung mobilisiert wieder, zumindest der Teil, der Feminismus als soziale Frage versteht.“ Das seien die Feministinnen, die es empörend finden, dass Hartz IV die Frauen benachteiligt und denen es im Gegensatz zu Alice Schwarzer nicht ausreiche, dass eine Frau Kanzlerin wird. „Die erste Kanzlerin in Deutschland ist ein symbolischer Fortschritt in der bisherigen Monomachtkultur und doch wie bei Thatcher ein sozial-feministischer Rückschritt, für den vor allem Frauen draufzahlen werden“, sagt Bendkowski. Auch dass Merkel eher gegen als für das Antidiskriminierungsgesetz kämpfen will, kritisiert sie. Mehr Protest sei also notwendig und werde es in Berlin auch sicher geben. Daher diskutierten Gruppen wie der Linke Frauenaufbruch bereits über Bündnispartner für den Widerstand gegen Schwarz-Rot. DAS