„Henkel hat der Polizei einen Bärendienst erwiesen“

Das bleibt von der Woche Der Innensenator will den Taser einführen, für die angestellten LehrerInnen ist plötzlich doch Geld da, in der Rigaer Straße gibt es eine Auseinandersetzung mit WahlkämpferInnen von Pro Deutschland, und in Neukölln ringen zwei Festivals um den Kiez

Leidenschaft auch ohne Geld

Festivals in Neukölln

Neu ist der ­sub­kulturelle Widerstand gegen die Umarmungsstrategie

So viel Festival wie in den letzten drei Tagen war selten in Neukölln. Die mit Senatsgeldern veranstaltete Pop-Kultur gastierte hier in diversen Locations vom Huxleys bis zum SchwuZ, parallel dazu fand als kurzfristig organisierte Gegenveranstaltung auf eher No- als Low-Budget-Niveau das Off-­Kultur-Festival in Läden wie der Expatkneipe Same Heads oder der Schwulenbar Ficken 3000 statt. Die Kleinen schienen damit den Großen zurufen zu wollen: Wir wollen unsere Subkultur nicht durch euer Standortmarketing missbraucht wissen.

Das Pop-Kultur-Festival hat die Aufgabe, den Ruf Berlins als führender Popstadt zu mehren, und zu diesem Zweck eignet sich das angesagte Neukölln natürlich besonders gut. Neu ist, dass es gegen solche Umarmungsstrategie nun tatsächlich so etwas wie Widerstand gibt. Das sich sonst so widerständig gebende Berghain hat im letzten Jahr immerhin noch sehr gerne den Senats-Event beherbergt.

Es lässt sich nun trefflich darüber streiten, ob die Pop-Kultur sich wirklich wie ein Krake in der Neuköllner Subkultur festsaugt, ob das Gegenfestival am Ende nicht sogar der Pop-Kultur erst die Aufmerksamkeit verleiht, die dieses mit seinem eigenen, wirklich sensationell mauen Programm niemals bekommen würde, und ob die Neuköllner Indieband, die in irgendeiner Kaschemme spielt, nun eher den Kiezgeist verkörpert als der Auftritt einer internationalen Band im Huxleys. Aber immerhin haben die Macher der Off-Kultur gezeigt, dass es in Neukölln immer noch subkulturelle Leidenschaft genug gibt, um auch ohne große finanzielle Mittel etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Und das ist heute, wo in Berlin auch Popmusiker erst einen Förderantrag stellen, bevor sie ein Instrument erlernen, schon einiges. Andreas Hartmann

Einfach nur politisches Kalkül

Mehr Geld für Lehrer

Gibt’s nicht, zu teuer, hieß es stets kühl aus der ­Finanzverwaltung

Das war ja wirklich eine wahnsinnig zähe Geschichte: Ganze viermal mussten die angestellten Berliner LehrerInnen in diesem Jahr streiken und sich vor der Bildungsverwaltung am Alexanderplatz die Beine in den Bauch stehen. Und ebenso oft wiederholten die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft auf der einen und der SPD-Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen auf der anderen Seite ihre Posi­tio­nen – bis man beinahe das Interesse an diesem Arbeitskampf verlor, weil eine Einigung sowieso ausgeschlossen schien.

Mehr Lohn für GrundschullehrerInnen und Quereinsteiger, gleiches Gehalt für Angestellte und Beamte forderten die Gewerkschafter. Gibt’s nicht, zu teuer, hieß es aus der Finanzverwaltung kühl, wo man wie gewohnt mit spitzem Bleistift rechnet.

Jetzt geht das alles irgendwie plötzlich doch: Am Montag unterzeichneten GEW, Finanzsenator Kollatz-Ahnen und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) eine gemeinsame Erklärung. In den kommenden Koalitionsgesprächen wollen sich beide dafür einsetzen, GrundschullehrerInnen künftig in die gleiche Entgeltgruppe wie die KollegInnen an den Sekundarschulen einzustufen. Quereinsteiger sollen eine „Erfahrungsstufe“ höher als zuvor eingruppiert werden.

Und was die Lohndifferenz zwischen Angestellten und BeamtInnen im Schuldienst angeht, da war sich zumindest die GEW am Montag sicher, dass ein gestaffeltes Zulagensystem, das auch den Dienstjahren der Angestellten Rechnung trägt, beinahe schon gemeinsamer Konsens sei (was eine Sprecherin des Finanzsenators dann aber sogleich wieder dementierte).

Bleibt die Frage, warum nun plötzlich etwas gehen soll, was lange so gar nicht zu gehen schien. Ein Rechenfehler in der Finanzverwaltung, ist der Bleistift plötzlich weniger spitz? Aber nein. Es ist viel einfacher: Am 18. September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Und weil die Umfragen der Meinungsforschungsinstitute beharrlich auf eine rot-grün-rote Dreierkonstellation hindeuten, habe man sich inzwischen auch so seine Gedanken gemacht, wie sich das neue Parlament wohl zusammensetzen möge, sagt die Sprecherin des Finanzsenators am Telefon.

Tatsächlich wäre eine Besserstellung der angestellten Lehrkräfte mit dem jetzigen Koalitionspartner CDU wohl ziemlich aussichtslos gewesen. Der beharrt stoisch auf der Wiedereinführung der Lehrerverbeamtung in Berlin.

Schön, dass man jetzt wenigstens weiß, warum diese ganze Sache so lange gedauert hat: Als Mathematiker kann sich Kollatz-Ahnen natürlich ausrechnen, wann die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen hoch genug ist. Anna Klöpper

Das Recht gilt auchin der Rigaer Straße

Attacke auf Wahlwerber

Auch die Rechts­populisten von Pro Deutschland dürfen Plakate aufhängen

Natürlich ist die AfD eine gruselige Entwicklung. Natürlich ist es eine schaurige Vorstellung, dass sie künftig, mit wie viel Leuten auch immer, im Abgeordnetenhaus sitzt. Natürlich zielen ihre Wahlplakate auf niedrigste Instinkte. Aber so schwer das auch zu akzeptieren ist – die Partei darf das, sie darf plakatieren, sie und ähnlich gesinnte Parteien dürfen ihre rechten Thesen verlautbaren. Denn dies ist genau das Land, in dem die Meinungsfreiheit mehr als anderswo geschützt ist, vor allem in einer Stadt, die sich von allen deutschen für die liberalste hält.

Natürlich ging es den rechtspopulistischen Wahlwerbern von Pro Deutschland mutmaßlich um reine Provokation, als sie am Montag im linksautonomen Hotspot Rigaer Straße Plakate aufhängen wollten. Aber auch das ist erlaubt. Sie daran zu hindern und das dann auch noch am letzten Donnerstag im Szenetreff Kadterschmiede damit zu feiern, eine dabei offenbar erbeutete Leiter zu versteigern, hingegen nicht. Genauso wenig, wie es hinzunehmen ist, dass jüngst wieder ein SPD-Büro angegriffen wurde.

„Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Von Voltaire ist dieser Satz überliefert. Ist diese Meinung beleidigend oder volksverhetzend, ist sie in Deutschland zu Recht nicht frei – doch das festzustellen liegt nicht bei jedem Einzelnen, sondern allein bei Polizei und Gerichten.

„Aber da muss man doch und da kann man doch nicht warten, das ist doch quasi Nothilfe, diese Nazisprüche ...“: immer wieder gehört, klingt auch ehrlich und empört. Doch auf der gleichen Rechtsgrundlage, nämlich keiner, könnten die rechts außen ihre Attacken gegen liberale Haltungen begründen, durch die sie ihre Welt bedroht sehen.

Leider ist die Akzeptanz geltender Gesetze, Regeln und Rechte, die von Parlamentariern, also Volksvertretern beschlossen wurden generell aufgeweicht. Das reicht vom testosterongesteuerten SUV-Fahrer, der sich qua Geld und PS berechtigt fühlt, durch die Tempo-30-Zone zu rasen, bis zu Attacken auf Baugruppen durch Gentrifizierungsgegner.

Der Grundidee ist stets, die eigene Sichtweise zur allein gültigen zu erklären. Ein Gemeinwesen aber kann, zumal in einer derart wachsenden Stadt wie Berlin, nur funktionieren, wenn seine Mitglieder Regeln akzeptieren, für die sich eine Mehrheit ausgesprochen hat, und zwar im ganzen Land und nicht bloß in einem besetzten Haus oder einem Nazitreff. Über diese Regeln kann man streiten, diskutieren, sie abschaffen wollen – aber bis das passiert, gelten sie eben. Stefan Alberti

So schnell kommt er nicht

Taser für die Polizei

Ein Langzeitversuch wäre das Mindeste, bevor die Polizei eine neue Waffe bekommt

Der Taser sieht aus wie eine Schusswaffe mit einer breiten Mündung. Abgeschossen werden an Drähten hängende Pfeile mit Widerhaken. Ein Stromstoß von 1,3 Milliampere bei einer Spannung von bis zu 50.000 Volt führt bei der Zielperson zu einer sofortigen Muskelkontraktion. Schreiend erfolgt der Zusammenbruch. Ist der Strom abgestellt, erholt sich der Getroffene schnell. So ist es zumindest im Regelfall.

Innensenator Frank Henkel (CDU) hat der Streifenpolizei in seinen letzten Amtstagen noch schnell den Taser verordnet. Am Mittwoch stellte er das Projekt zusammen mit dem Polizeipräsidenten vor. In den Abschnitten 53 und 32 – Kreuzberg und Mitte – soll ein dreijähriger Probelauf stattfinden. 20 Taser sollen dafür angeschafft werden.

Doch Fakt ist: Der Taser für die Schutzpolizei wird so bald nicht kommen. Am 18. September sind Wahlen, dann werden die Karten neu gemischt. Mit seinem Wahlkampfmanöver auf den letzten Metern hat Henkel den Befürwortern des Tasers bei der Polizei einen Bärendienst erwiesen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) reagierte dementsprechend verärgert. In ihren Augen hätte dem Probelauf eine Gesetzesänderung vorangehen müssen.

Wie in allen Bundesländern ist in Berlin nur das Spezialeinsatzkommando (SEK) mit dem Elektroschocker ausgestattet. Im Gesetz ist der Taser der Schusswaffe gleichgestellt und unterliegt damit den gleichen hohen Einsatzvoraussetzungen: dem Vorliegen von Notwehr und Nothilfe. Die GdP fordert, den Taser wie Schlagstock und Pfefferspray als Hilfsmittel körperlicher Gewalt einzustufen.

Mit dem Taser könne die Lücke zwischen Pfefferspray und Schusswaffe geschlossen und Leben gerettet werden, so die Befürworter. Auch der nackte Mann im Neptunbrunnen wäre 2013 vielleicht nicht von der Polizei erschossen worden, wenn der Polizist einen Taser dabeigehabt hätte.

Allerdings: Auch der Umgang mit dem Taser will geübt sein. Das SEK hat das Gerät seit 2001 ganze 23-mal benutzt. Wegen der geringen Praxis ist der Langzeitversuch bis heute nicht ausgewertet worden. Das zu tun aber wäre das Mindeste, bevor man der Schutzpolizei eine neue Waffe an den Gürtel hängt, der auch ohne Taser mit Schlagstock, Reizgas, Handschellen und Pistole eigentlich schon zu voll ist. Plutonia Plarre