Die neue Zauberflöte

„RING“-BOOM Nach Lübeck und Hamburg führt auch die Staatsoper Hannover den „Ring des Nibelungen“ auf. Wagners vier Abende füllende Mammutoper ist dabei, der neue Number-One-Hit der Opernwelt zu werden

Richard Wagner wollte sein Mammutwerk ursprünglich nur dreimal aufführen lassen

Es geht um Moral, Geld und Macht. Um alte Männer, die die Welt zugrunde richten, weil sie auf nichts davon verzichten wollen. Und um die vergebliche Hoffnung der folgenden Generation, die Dinge doch noch gerade rücken zu können – oder wenigstens mit heiler Haut davon zu kommen.

Wenn das nicht gut in die Zeit passt, dachte sich Roman Brogli-Sacher, Opern- und Generalmusikdirektor des Theaters Lübeck. Und setzte Richard Wagners 1874 vollendeten Musikdramenzyklus „Der Ring des Nibelungen“ auf den Spielplan seines Theaters – „Das Rheingold“ im Herbst 2007, „Die Walküre“ 2008, „Siegfried“ 2009 und „Götterdämmerung“ 2010.

Eine zeitlose Geschichte, ideal fürs 21. Jahrhundert, dachte sich auch Simone Young, Intendantin und Generalmusikdirektorin der Hamburgischen Staatsoper. Und setzte die vier Werke à 16 Stunden Musik auf den Spielplan ihres Hauses. Premiere des „Rheingolds“: Frühjahr 2008, im Herbst 2010 soll das Projekt mit der Oper „Götterdämmerung“ abgeschlossen sein.

Eine wahrhaft große Geschichte, dachte sich offensichtlich auch Michael Klügl, Opernintendant des Niedersächsischen Staatstheaters Hannover. Auch hier landete die Tetralogie auf dem Spielplan. Der komponierte Weltuntergang am Ende der „Götterdämmerung“ ist für das Frühjahr 2011 geplant, das „Rheingold“ hatte am Samstag Premiere.

Richard Wagner selbst wollte sein Mammutwerk ursprünglich nur dreimal aufführen lassen – in einem zusammengezimmerten Theater, das nach den Aufführungen abgebrannt werden sollte, zusammen mit der Partitur. Später soll er sich von diesem Plan wieder verabschiedet haben, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Was er dazu gesagt hätte, dass sein „Ring“ auf bestem Weg ist, Mozarts „Zauberflöte“ den Rang abzulaufen?

Fest steht jedenfalls, dass Außenseiter Lübeck sich mit der „Ring“-Deutung von Regisseur Anthony Pilavachi und Brogli-Sacher am Pult szenisch wie musikalisch selbst übertroffen hat. Hamburg, nach der „Walküre“ weit abgeschlagen, konnte mit dem „Siegfried“ in der Inszenierung von Claus Guth und mit Simone Young am Pult wieder Boden gutmachen.

Und Hannover? Ist in die falsche Richtung gestartet. Generalmusikdirektor Wolfgang Bozic bewies, dass seine Musiker vor allem laut spielen können – und flog in der Verwandlungsmusik zum dritten Akt pfeilgerade aus der Kurve. Für die Inszenierung kaufte das Staatstheater den Australier Barrie Kosky ein, der von 2012 an die Komische Oper Berlin leitet. Mit Wagner, sagte Kosky vorab in einem Interview, könne er wenig anfangen. Und spätestens nach der „Rheingold“-Premiere vom Samstag ist klar: Kosky hätte das nicht eigens erwähnen müssen. Die Rheintöchter, gekleidet wie das MDR-Fernsehballett, flirten auf einer Showtreppe mit Showmaster Alberich, der als Karikatur des schwarzen Mannes im Stil der 1920er Jahre verkleidet ist. Der wird nicht rangelassen, verflucht daraufhin die Liebe und raubt das Rheingold – bei Kosky ein nacktes, gold bemaltes Mädchen. Das ist der Beginn allen Übels.

Die Ansätze, die Kosky liefert, sind nicht unspannend. Wirklich inspiriert sind sie nicht – vieles ist schon da gewesen, alles andere an den Haaren herbeigezogen. Dass der Hauptsponsor der Hannoveraner Erzählung von der fatalen Macht des Goldes die Norddeutsche Landesbank ist, macht es nicht besser.

Ein Signal gegen den Größenwahn ertönt aus Schwerin. Anstatt des „Rings“ wird dort Wagners „Fliegender Holländer“ gegeben. Der dauert nur zweieinhalb Stunden. FLORIAN ZINNECKER

Nächste Vorstellung: 28. 11., Staatsoper Hannover