Vor Umweltschäden auf der Flucht

Annähernd 19 Millionen Menschen müssen derzeit wegen Dürre oder Flut ihre Heimat verlassen, schätzen Experten der UN-Universität in Bonn. Ihre Zahl dürfte dramatisch steigen. Doch bislang gelten diese Menschen offiziell gar nicht als Flüchtlinge

VON STEPHAN KOSCH

Experten der Vereinten Nationen (UN) haben vor einer dramatisch steigenden Zahl von Umweltflüchtlingen gewarnt. Steigende Meeresspiegel, die Ausdehnung der Wüsten und Wetterkatastrophen wie Fluten könnten in Zukunft mehrere hundert Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertreiben, erklärte die UN-Universität in Bonn anlässlich des heutigen „Internationalen Tags zur Verhinderung von Naturkatastrophen.“

Janos Bogardi, Direktor der UN-Universität, forderte im Gespräch mit der taz, dass die UN genaue Kriterien für die Definition eines Umweltflüchtlings entwickeln müsse. „Diese neue Kategorie von Flüchtlingen muss einen Platz in den internationalen Abkommen finden.“

Anders als die Opfer von politischen Unruhen oder Gewalt besitzen von Umweltschäden vertriebene Menschen nämlich keinen offiziellen Flüchtlingsstatus – und somit auch keinen Zugang zu entsprechenden Unterkünften und Hilfsprogrammen der Vereinten Nationen.

„Viele von ihnen wandern innerhalb eines Landes“, sagt Bogardi. „Damit fehlt der Grenzübertritt als ein wichtiges Kriterium zur Anerkennung als Flüchtling.“ Doch auch wenn die betroffenen Menschen in ein anderes Land gehen, würden sie dort oft als Migranten gesehen, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Das führe häufig zu großen Vorbehalten der einheimischen Bevölkerung, sagt Bogardi.

Anders als bei plötzlichen Naturereignissen wie dem Tsunami oder dem Wirbelsturm an der US-Golfküste in New Orleans, über die weltweit berichtet werde, erhielten Opfer von schleichenden Umweltkatastrophen zudem wenig private Spenden. Bogardi: „Es steht nicht in jedem afrikanischen Dorf eine Kamera.“ Dabei seien vor allem in der Sub-Sahara-Zone Umweltflüchtlinge unterwegs.

Aber auch Marokko, Tunesien und Libyen verlören pro Jahr über 1.000 Quadratkilometer fruchtbares Land an die Wüsten. Die wasserführende Schicht in Jemens Hauptstadt Sanaa mit 900.000 Einwohnern fällt jährlich um sechs Meter und könnte nach Weltbankschätzungen 2010 ausgetrocknet sein. Hingegen sind in Alaska 213 Ortschaften durch Meeresfluten bedroht, die jährlich tiefer ins Land vordringen.

Wie viele Menschen derzeit konkret auf der Flucht vor Umweltschäden sind, ist unklar. Die UN-Universität geht aber von annähernd 19 Millionen Menschen aus – mit stark steigender Tendenz. Das Rote Kreuz geht davon aus, dass am Ende dieses Jahrzehnts bereits 50 Millionen Umweltflüchtlinge in der Welt unterwegs sein werden. Bogardi bezeichnet diese Schätzung als konservativ:„ Es gibt gut begründete Befürchtungen, dass die Zahl wegen des Klimawandels und anderer Phänomene exponentiell steigen wird.“