Stimmen Bei Emma Cline lässt Charles Manson grüßen, Dorit Rabinyan beschreibt eine israelisch-palästinensiche Liebe
: Gemocht zu werden und ein wenig Dope genügen

Die Geistesblitze Pubertierender sind oft von universeller Wahrheit. Schade, dass die meisten sie vergessen. Drogen, Alkohol oder Ignoranz. Umso schöner, dass manche sich ganz genau erinnern. Weil sie Tagebuch geführt haben oder wie die 1989 geborene Emma Cline die Pubertät noch nah vor Augen haben (und dazu mehrere Geschwister im Teena­ger­alter). In ihrem Romandebüt „The Girls“ erzählt die Kalifornierin von Evie Boyd, einer 14-Jährigen, die kaum Freunde hat, deren Eltern ob ihrer Scheidung mit sich selbst beschäftigt sind. Evie lechzt danach, von jemandem wahrgenommen zu werden. Das passiert ihr mit den „Girls“, gehirngewaschenen Anhängerinnen einer sektenartigen Kommune, die sie 1969 kennen lernt. Auf der Suche nach einer Identifikationsfigur ist sie besonders von der geheimnisvollen, etwas älteren Suzanne fasziniert. Ihretwegen kommt sie mit auf die „Ranch“, Hauptquartier des mörderischen Vereins, Charles Manson lässt grüßen. Das ihr unbekannte Gefühl, gemocht zu werden, und ein wenig Dope genügen, um Evies Verstand zu benebeln.

Evie Boyd erzählt ihre Geschichte in der Retrospektive, sie schont sich nicht. Suzanne von Borsodys mit allen Wassern gewaschene Stimme verleiht dem Abgründe auslotenden Text zusätzliche Tiefe. Sie verdeutlicht gekonnt die unterschiedlichen Erzählebenen, die Sicht der erfahrenen Evie von heute, die sich in den Teenager zurückversetzt. „The Girls“ macht plausibel, wie ein nach Sinn suchender junger Mensch in die Fänge einer Sekte geraten kann, und zeichnet damit zwischen den Zeilen Parallelen zur strukturellen Vorgehensweise von Terrororganisationen. (Hörbuch Hamburg, 9 CDs, 11 Std. 32 Min.)

In der Weltliteratur wimmelt es nur so von aussichtslosen Beziehungsentwürfen, sie bieten vor dem Hintergrund verkrusteter Strukturen, seien sie privat oder politisch, Raum für intensive Charakterstudien. In ihrem dritten Roman „Wir sehen uns am Meer“ entwirft die is­rae­lische Schriftstellerin Dorit Rabinyan das Panorama einer Liebe zwischen der jüdischen Israelin Liat aus Tel Aviv und dem muslimischen Palästinenser Chilmi aus Ramallah. Die beiden treffen 2002 in New York aufeinander, Liat ist Übersetzerin und für sechs Monate in der seit den Anschlägen vom 11. September paranoiden Metropole. Der Maler Chilmi lebt dort schon seit ein paar Jahren von der Hand in den Mund. Ihre Liebe ist stark, aber insbesondere Liat beschwört ihre Grenzen permanent herauf.

Rubinyan lässt dezidiert viele kleine Details einfließen, die das seit Generationen gewachsene Misstrauen zwischen Arabern und Juden sichtbar machen. Die für eine Zweistaatenlösung eintretende Liat kann sich von den Konventionen weniger lösen, verleumdet Chilmi bei jeder Gelegenheit und leidet darunter. Chilmi, der fest daran glaubt, dass Israelis und Palästinenser irgendwann in einem Staat zusammenleben können, ist unbefangener, zerbricht fast an Liats Schwäche. Luise Helm liest die autorisierte Hörfassung ganz wunderbar, ruhig, mal mit aufschäumendem Timbre, mal sehr zurückhaltend, immer dem Text verpflichtet. Dass sie arabische, hebräische und englische Textstellen sogar mit variierenden Akzenten vorliest, ist ein Mehrwert gegenüber der Buchversion(argon Hörbuch, autorisierte Lesefassung, 7 CDs, 8 Std. 44 Min.).

In Israel sollte der Roman zur Schullektüre werden. Das wurde vom Bildungsministerium verhindert und rief einen Skandal hervor. Liberale israelische Stimmen sehen darin den Versuch, die Durchmischung der israelischen und muslimischen Bevölkerung zu verhindern.

Sylvia Prahl