: Bergsteigen an der Kletterwand macht high
Der Landschaftsverband Rheinland diskutiert mit Patienten und Fachleuten erste Ergebnisse der klinischen Behandlung von Cannabissüchtigen. Die Rheinischen Kliniken Bonn arbeiten inzwischen eng mit Suchtberatungsstellen zusammen
BONN taz ■ „Wenn ich mal tagsüber auf die Straße ging, dann nur mit gebeugtem Kopf. Mir war, als hätte ich ein Schild auf dem Rücken mit der Aufschrift ‚Ich kiffe‘.“ In weißem Muscle-Shirts saß der 22-jährige Mann am Montag in der Gesprächsrunde, zu der der Landschaftsverband Rheinland außer ihm und einem weiteren ehemaligen Kiffer auch Fachleute und Journalisten nach Bonn geladen hatte. Beide berichteten von ihrem Leben mit Cannabis, aber auch von der Behandlung in der Suchtstation der Rheinischen Kliniken Bonn.
Bereits mit 12 habe er angefangen, Haschisch zu rauchen, erzählte einer der beiden jungen Männer. „Zu der Zeit stellte ich mir die Frage, was es außer Playstation noch alles gibt.“ Ende letzten Jahres habe er dann etwa sieben Gramm Haschisch täglich geraucht. „Ich konnte noch nicht einmal mehr eine SMS tippen, so zu war ich.“ Den Job als Bürokaufmann habe er nicht mehr geschafft. Direkten Augenkontakt zu Fremden konnte er nicht aushalten. „Ich habe mich in mein Zimmer verkrochen und bin nur nachts raus gekommen. Getroffen habe ich mich nur mit Leuten aus der Szene, so genannten Freunden. Es ging da aber immer nur ums Kiffen.“
Beide Männer machten einen geläuterten Eindruck – und zeigten sich begeistert von der Behandlung in der Suchtstation. Typische Patienten seien die beiden, versicherte der Bonner Psychiater Axel Schmidt. „Cannabis ist lange verharmlost worden.“ Natürlich seien die meisten Gelegenheitskonsumenten, manche junge Menschen aber litten unter einer ernst zu nehmenden Sucht. Die Gefahr der Droge nehme zu und das habe mehrere Ursachen. Inzwischen hätten viele Eltern selbst Erfahrung mit Haschisch und neigten deshalb dazu, das Problem zu bagatellisieren. „Dies ist besonders verhängnisvoll, da die auf dem Markt befindliche Ware mit früherem Cannabis nicht zu vergleichen ist“, erklärte Schmidt. Durch Züchtungen sei der Wirkstoff inzwischen fünf Mal so stark. Auch fingen die Jugendlichen viel früher an zu kiffen. Und die Mischanwendung mit anderen Substanzen wie Alkohol, Amphetaminen, Pilzen bis hin zu Kokain nehme zu.
Eine klinische Behandlung von Haschischkonsumenten war vor Jahren noch unüblich. 2004 haben die Rheinischen Kliniken zunächst in Essen eine Station für Cannabissüchtige ins Leben gerufen. Die fünf Plätze, die nun in Bonn eingerichtet wurden, befinden sich nicht auf der Station für Heroinabhängige. Mit Alkohol-, Tabletten- und Spielsüchtigen müssen sich die Kiffer aber schon arrangieren. Besonderes Augenmerk legt die Klinik auf Erlebnispädagogik. Statt „high“ zu sein, erlernen die Patienten beim Bergsteigen an einer speziellen Kletterwand einen gesunden Umgang mit Hochgefühl und Gefahr.
Neu ist die Vernetzung von ambulanter und stationärer Suchthilfe. Die Beratungsstelle von Diakonie und Caritas arbeite, so der Chefarzt der Suchtabteilung Markus Banger, eng mit den Rheinischen Kliniken zusammen. Der Psychiater der Klinik habe wöchentlich seine Sprechstunden in der Beratungsstelle. So könne er Betroffenen bei Bedarf direkt eine stationäre Behandlung empfehlen. Und ehemalige Patienten verlieren nicht den Kontakt, haben die Chance, in Krisen schnell wieder aufgenommen zu werden.
Der Psychologe der Beratungsstelle wiederum schaut den Patienten der Klinik beim Klettern zu, knüpft so erste Kontakte. Markus Banger erklärt den Vorteil dieser Verzahnung: „Früher gingen viele Patienten auf dem Weg von der Klinik zur ambulanten Hilfe verloren. Das ist nun anders.“ Bei einem Wechsel der Bezugsperson brächen viele Patienten die Behandlung ab. Ein vertrauensvolles Verhältnis sei in der Suchtkrankenhilfe besonders wichtig. LUTZ DEBUS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen