: „Rot-Rot-Grün ist im Moment noch kein Ziel“
taz-Interview mit Marco Bülow, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Dortmund, über die Sozialdemokratie vor dem nahenden Abgang von Bundeskanzler Schröder, die notwendige Verjüngung, eine Zwangsehe und Rot-Rot-Grün
taz: Herr Bülow, Kanzler Schröder hört auf. Wirtschaftsminister Clement auch. Kommt da was nach aus NRW?Marco Bülow: Falls es zu einer großen Koalition kommt, muss die SPD in der Tat auch mit neuen Gesichtern in eine neue Regierung gehen. Auch aus Nordrhein-Westfalen. Da gibt es sicherlich einige, die als Abgeordnete sehr gute Arbeit leisten und dies auch als Minister könnten.
Derzeit wird vor allem über Kandidaten aus NRW spekuliert, die positiv ausgedrückt Erfahrung haben wie Ulla Schmidt oder Peer Steinbrück.Es ist ja auch von Leuten wie Michael Müller [Sprecher der SPD-Linken aus Düsseldorf] die Rede. Der ist zwar auch nicht mehr jung, hat aber Innovationspotenzial. Darüber hinaus gibt es einige aus der Riege der 30- bis 40-jährigen. Die sind halt in der Öffentlichkeit nicht so bekannt.
Nennen Sie mal Namen...Ulrich Kelber aus Bonn. Der hat seinen Wahlkreis mit Zuwachs verteidigt und steht für eine neue Generation in der SPD. Den könnte ich mir gut als Minister vorstellen.
SPD-Chef Franz Müntefering könnte als Vizekanzler ebenfalls in ein schwarz-rotes Kabinett gehen?Da gibt es zwei Möglichkeiten. Wenn Schröder wirklich aufhört, muss Franz den Laden zusammenhalten. Als Fraktionschef oder in der Regierung. Aber noch ist ja gar nicht sicher, dass es überhaupt zu einer großen Koalition kommt.
Die SPD-Führung hat die Weichen doch auf eine Zusammenarbeit mit der CDU gestellt.Zunächst mal muss man die Koalitionsverhandlungen abwarten. Ich schätze die Chancen für eine große Koalition derzeit auf maximal 60 Prozent ein. Das ist keine Vernunftehe, das wäre eine Zwangsehe. Rot-Grün war eine Vernunftehe, die große Koalition ist etwas Schlimmeres. Das kann definitiv noch scheitern. Da ist noch gar nichts sicher.
Mit welchen Inhalten sollte die SPD in eine neue Regierung gehen. Sie galten immer als Kritiker von Schröders Agenda 2010?Bei der Bundestagswahl hat das schwarz-gelbe Radikalprogramm keine Mehrheit bekommen. Aber auch Rot-Grün und die Agenda 2010 stehen ohne Mehrheit da. Das ist gescheitert. Die SPD muss jetzt dafür kämpfen, dass möglichst viel von unserem Wahlmanifest umgesetzt wird.
Aber SPD-Pläne wie die Reichensteuer dürften bei der Union keine Chance haben?Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes für hohe Einkommen ist ein wichtiger Punkt. Aber es wird nicht nur darauf ankommen, was von unseren Forderungen in einem möglichen Koalitionsvertrag steht. Es geht auch darum, welche CDU/CSU-Forderungen dort absolut nicht drinstehen dürfen, etwa die Kopfpauschale oder der Wiedereinstieg in die Atomkraft.
Falls die große Koalition kommt: Wie lang hält sie?Wie gesagt: Noch gibt‘s die nicht. Wenn man sich einigt, gibt es sicherlich mittelfristig keine gemeinsame politische Perspektive. Dazu sind die Unterschiede zwischen SPD und Union zu groß.
Was ist denn die machtpolitische Alternative der SPD?Im Moment ist eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei.PDS unmöglich. Ich sage, im Moment. Rot-Rot-Grün ist noch kein Ziel. Aber wenn man irgendwann dazu gezwungen ist, zusammenzuarbeiten, sollte das gehen. Das geht in anderen europäischen Ländern ja auch.
INTERVIEW: MARTIN TEIGELER