: Vom Krimi zum Horror
Wettrennen mit der Zeit: die Doku „Jagd nach dem Killervirus. Seuchengefahr Vogelgrippe“ (0.00 Uhr, ARD)
Ein Fernsehfilm folgt einer anderen Dramaturgie als ein Zeitungsartikel. Deshalb erfährt man in Florian Opitz’ Doku „Jagd nach dem Killervirus“ die neueste und spannendste Information erst kurz vor Schluss: Das Virus, das vor 87 Jahren unter dem Namen Spanische Grippe um die Welt ging, war ein Vogelgrippevirus. Und es war von selbst so mutiert, dass es von Mensch zu Mensch überspringen konnte.
Bis dahin hat man atemlose 40 Minuten lang die „Geschichte eines Massenmörders, der auf einen Schlag 40 Millionen Menschen tötete – und immer wieder zuschlägt“, verfolgt. Atemlos, weil Opitz einen Thriller gedreht hat, mit raschen Bildwechseln, schräger Kameraführung und wackeligen, meist nächtlichen Aufnahmen von Opfern, abgesperrten Quarantänegebieten und Helfern in Schutzanzügen.
Das passt zur Sendezeit: Wer wäre um Mitternacht noch in der Lage, einem hochkomplexen Recherchestück zu folgen? Und es passt zum Thema: Denn die Wissenschaftler forschen wie Detektive nach den Ursachen der Vogelgrippe und einem Impfstoff – in uralten Massengräbern, verstaubten Lagern und hellen Laboren. Immer im Wettrennen mit dem Virus H5N1, das noch lernen muss, wie es von Mensch zu Mensch springen kann.
Bei der Frage, was passiert, wenn das Virus gewinnt, lässt der Film der Fantasie nur eine Richtung. „Die Zutaten für eine globale Pandemie sind gegeben“, sagt Klaus Stöhr von der Weltgesundheitsorganisation WHO. Es ist sein Lieblingssatz. Und der Lieblingssatz des Filmemachers. Zehn-, elf-, zwölfmal darf der Experte ihn wiederholen und damit die Geschichte des Virus und die Geschichte seiner Erforschung gehörig dramatisieren. Das ist auch die Absicht der immer wieder eingespielten Schwarzweißaufnahmen von 1918, die zeigen, wie Soldaten in einem Armeelager von der Spanischen Grippe befallen werden. Wie sie Blut husten, ihre Haut sich wegen des Sauerstoffmangels dunkel verfärbt. Wie andere Soldaten in alle Welt verschickt werden. Wie die Toten der Pandemie in Massengräbern verscharrt wurden. Dass Experten wie Reinhard Kurth vom Robert-Koch-Institut genau vor dieser Art Panikmache warnen, muss in dieser Dramaturgie natürlich unerwähnt bleiben.
Die Botschaft ist deshalb besonders drastisch, deckt sich aber mit Befürchtungen der WHO: Die Welt ist heute kaum besser gerüstet als 1918. „Das Virus wäre über den Globus verbreitet, bevor wir wüssten, was los ist“, warnt Stöhr.
Und so entlässt der Film den Zuschauer nicht mit dem üblichen Aufatmen am Ende des Krimis, sondern mit dem Grusel des Horrorschockers. Das Böse ist nicht geschlagen. Im Gegenteil: Es lauert noch auf die richtige Gelegenheit. BEATE WILLMS