: Seetangsnacks und Selbstgebrannter
Kunst Triennale der Kleinplastik, das klingt nicht gerade aufregend. Ist es aber! In Fellbach bei Stuttgart behandelt die Schau das überfällige Thema Essen im Zeitalter der Globalisierung auf appetitliche Art und Weise
von Markus Weckesser
Triennale der Kleinplastik klingt ein bisschen wie Rasseschau der Kleintierzüchter. Jedenfalls nicht sehr aufregend und neu. Von diesem antiquierten Titel sollte sich aber niemand abschrecken lassen und bloß nicht den Weg ins kleine Städtchen Fellbach bei Stuttgart scheuen. Denn die 13. Triennale in der Alten Kelter bietet alles andere als Kleinmütiges. In diesem Jahr wartet die Schau dazu mit einem Thema auf, das schon lange überfällig ist, weil es jeden Menschen betrifft: das Essen im Zeitalter der Globalisierung.
Es geht also weniger um bestimmte Lebensmittel als vielmehr um unterschiedliche Aspekte wie Produktionsbedingungen und Konsumgewohnheiten, Umweltbewusstsein, das gewandelte Gesundheitsverständnis und soziale Praktiken. Eine der nachdrücklichsten Arbeiten schuf Mauricio Guillén. Mit der Präsentation von gestohlenen Reservierungsschildern aus noblen Restaurants erinnert der gebürtige Mexikaner an die anderen, die nicht an gedeckten Tischen sitzen und für die Lebensmittel immer mit dem Kampf ums Überleben gleichbedeutend sind.
Konkrete Kritik wie Paulo Nazareth, der die rassistische Verwendung von indigenen Namen und Motiven auf Konsumgütern benennt, äußern indes nur wenige Künstler. Pamela Rosenkranz füllte Wasserflaschen von Evian mit einem hautfarbenen Silikongemisch. Während es der Hälfte der Menschheit an sauberem Trinkwasser mangelt, vermarkten Unternehmen Wasser mit den Versprechungen von Reinheit und Natürlichkeit. Josh Kline befragte einen Kurier des Versandunternehmens FedEx zu seinem stressigen Arbeitsalltag, der ihm keine Zeit für angemessene Pausen lässt. Um sein Pensum zu erfüllen, ernährt sich der Fahrer hauptsächlich von Kaffee und Automatensnacks.
Möglicherweise mundet diesem Mitarbeiter ja auch das Knabberzeugs, das aus Seealgen hergestellt ist. Ob die blau beleuchteten Großkanister mit blubberndem Wasser und glibbrigem Tang, die Dan Rees in die Ausstellung verfrachtet hat, allerdings Besucher zur Heimproduktion anregen, bleibt abzuwarten. Seine Readymade-Präsentation von bunten Snacktüten weckt jedenfalls das Bedürfnis, versuchsweise Seetang zu naschen.
Reale Verköstigung ist bei Banu Cennetoğlu möglich. Die Künstlerin aus Istanbul sammelte selbstgebrannte Schnäpse, die sie in einer Art Bibliothek zusammenstellte. Im Tausch gegen Geld oder andere Gegenstände lassen Valentin Beck und Adrian Rast Besucher von ihrem Eingemachten probieren. Die beiden Künstler haben aus Lebensmitteln, die von Supermärkten aussortiert wurden, Köstlichkeiten wie Rotkrautchutney und Pilze in Essig gekocht.
Überraschenderweise haben einige Skulpturen doch etwas mit Tieren und der kleinen Form zu tun. Björn Braun ließ von Zebrafinken kunstvolle und fragile Nester bauen. Als Materialien offerierte er den zarten Tierchen Kunstfedern, gefärbte Kokosnussfasern, Fell und Gräser. Die Arbeit hat zwar, wie einige andere auch, rein gar nichts mit Lebensmitteln zu tun, aber im weiteren Sinn mit „Ökologien des Alltags“, wie die Triennale in ihrem Untertitel verspricht. Dana Sherwood backte für Waldtiere üppige Torten und Desserts aus Früchten, Rohkost, Vogelfutter, Marzipan und Schlagsahne. Dabei machte sie die Beobachtung, dass Tiere, die sich von Abfällen ernähren, ihre Essgewohnheiten denen der Menschen angleichen.
Seit ihrer Gründung 1980 wurden für die Triennale stets hervorragende Kuratoren verpflichtet. In den Vorjahren waren es Kunstmacher wie Manfred Schneckenburger, Cathérine David, Yilmaz Dziewior und Angelika Nollert. Diesmal sind es Anna Goetz und Susanne Gaensheimer, Direktorin des Frankfurter Museums für Moderne Kunst. Die Mischung von jungen und international etablierten Künstlern hätte inhaltlich ebenso gut in ihr eigenes Haus gepasst.
Doch der heimliche Star der Triennale ist der Ausstellungsort selbst. Seit 2001 wird die Kunstschau in der Alten Kelter ausgerichtet, in der früher Wein gekeltert und gelagert wurde. Die aktuelle Ausstellungsfläche misst 2.500 Quadratmeter und wird von einem imposanten Dachgebälk aus Holz überspannt. Das Berliner Architekturbüro Kuehn Malvezzi konstruierte aus weißen hängenden Stoffbahnen nun ein Zelt innerhalb des Hauses, dass zwar keinen strengen White Cube bildet, aber doch einen beruhigten Bereich. Zur Decke hin nimmt der dünne Einbau die Form der spitz zulaufenden Architektur an. An den Seiten wiederum fällt der Stoff gerade ab, sodass umlaufend ein weiterer Raum entstanden ist, der nach oben den Blick auf die Fachwerkkonstruktion gewährt.
Und obgleich der Umgang übersichtlich ist, wird der Besucher immer wieder von Exponaten überrascht, auf die er unvermutet stößt, weil diese, ebenso wie ihre Beschilderung, mehr als zurückhaltend angebracht sind, etwa eine vergoldete Bronzekartoffel von Subodh Gupta oder Fische aus Kuhmist von Petrit Halilaj.
Bis 2. Oktober, Alte Kelter, Fellbach, Katalog (Kerber Verlag) 24 Euro
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