zwischen den rillen
: Popsongs für eine freie Stadt

Blood Orange: „Freetown Sound“ (Domino/Rough Trade)

Anreiz von „Freetown Sound“, dem neuen Album von Blood Orange, ist etwas Schreckliches: seine blutige Aktualität. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist leider kurze Zeit nachdem 49 Menschen in einem LGBT-Nachtklub in Orlando von einem Terroristen ermordet wurden und einer brodelnden USA, in der wegen verschiedener rassistisch motivierter Gewalttaten Unruhe ausgebrochen ist.

Dev Hynes, der afrobritische Künstler, der hinter Blood Orange steckt, thematisiert Rassismus und Schwulenhass schon seit Längerem. Als er 2014 auf dem Lollapalooza-Festival in Chicago mit einem T-Shirt auftritt, auf dem Namen schwarzer Opfer von Polizeigewalt stehen, wird er von Securitys verprügelt. Vergangenes Jahr veröffentlichte der 30-Jährige mit „Do you see my Skin through the ­Flames?“ eine Ansprache zur Lage der Schwarzen nach dem Blutbad in Charleston. „Just some things on my mind“, sagte Hynes dazu.

Not queer enough

„Freetown Sound“ ist nun jenen gewidmet, die bezichtigt werden „not black enough, too black / Too queer, not queer the right way“ zu sein, wie Dev ­Hynes sagt. Solche Widersprüche und Konflikte, die man etwa als Schwarzer öfter durchlebt, ziehen sich durch das Album. Es ist nicht eine Aneinanderreihung von 17 Songs, es wirkt eher wie ein Mixtape: Sammelsurium von Einflüssen, Erinnerungen und natürlich Musik, ähnlich wie die Videos, die Hynes als Teenager aus dem Musik-Fernsehen von MTV mitgeschnitten hat. Auf „Freetown Sound“ hat er Schnipsel aus Filmen des schwulen Aktivisten Marlon Riggs gesampelt und Ausschnitte von Reden des Autors Ta-Nehisi Coates. Künstlerinnen wie Carly Rae Jepsen und Nelly Furtado singen etwa in Songs mit. „Freetown Sound“ beginnt mit Zeilen der US-Spoken-Word-Künstlerin Ashlee Haze, die für selbstbewussten schwarzen Feminismus plädiert – schließlich wird auch in feministischen Kreisen oftmals aus der Sicht der privilegierten weißen Frau gesprochen. Hynes’Song „Desiree“ zitiert wiederum aus dem Dokumentarfilm „Paris Is Burning“, der von der New Yorker Ballroom-Szene der 80er handelt. Diese Hotspots der LGBT-Szene hat Hynes schon auf seinem Album „Coastal Grooves“ besungen, das noch eher nach New Wave klang. Emanzipativen Discosound entdeckte er auf dem Nachfolger „Cupid Deluxe“.

Doch „Freetown Sound“ ist nun das, was man sein Meisterwerk nennen darf. Und ja, all den bedeutungsvollen, aktivistischen und theoretischen Ansätzen zum Trotz ist „Freetown Sound“ upliftende Popmusik zum Tanzen: R&B, Funk, Disco, HipHop oder Jazz – alles wild durcheinander. Songs wie „E.V.P.“ oder „Love Ya“ haben Hooklines, die im Ohr bleiben, aber nie wie aseptischer Chartspop klingen – weil sie unvollendet sind. Denn schon zieht einen das Mixtape zum nächsten Gedanken, zum nächsten Song weiter.

Instant-Pop hat Hynes schon mehrmals ausprobiert, etwa in Produktion für die Sängerinnen FKA Twigs, Kylie Minogue und Britney Spears. Nicht alles, was er anfasst, wird auch erfolgreich. Kurzzeitig war er Sänger und Gitarrist der Londoner Dancepunkband Test Icicles, danach machte er als Lightspeed Champion emotionalen, nahezu kitschigen Bubblegumpop.

Prägend war der Umzug aus seiner Geburtsstadt London nach New York, wo er ein Aktivposten der Musikszene ist. Doch am Ende war es die Heimat seines Vaters, Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone, die dem Album den Titel gab: „Freetown Sound“. Musik für eine freie Stadt in einer freizügigen Welt voller Menschen unterschiedlicher Herkunft und sexueller Selbstbestimmung. Das Schöne an Dev Hynes: Er stimmt gegen die Misere überaus beglückende Popsongs an.

Juliane Streich