: Entscheidung für den Tod
Mit seinem Plädoyer für die Sterbehilfe hat der Hamburger Justizsenator Roger Kusch ein heftige Debatte ausgelöst, mit teilweise schrillen Untertönen. Im taz-Interview antwortet er seinen Kritikern
Interview: Daniel Wiese
Mit seinem Vorschlag, die aktive Sterbehilfe zu legalisieren, hat sich der Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) nicht nur Freunde gemacht. Die Proteste reichten von seiner eigenen Partei bis zum „Arbeitskreis sozialdemokratischer Frauen“, der Kuschs Hinweis auf das Ungleichgewicht zwischen (verbotener) „Tötung auf Verlangen“ und (bedingt erlaubter) Abtreibung als „frauenfeindlich“ brandmarkte.
taz: Sie sagen, dass Sterbehilfe in bestimmten Fällen ein Gebot christlicher Nächstenliebe sein kann.
Roger Kusch: Ja. Das ist mein Verständnis von Christentum. Ich nehme zur Kenntnis, dass es Personen gibt, die anderer Meinung sind. Deren Meinung respektiere ich, aber ich würde es begrüßen, wenn sie auch meine Meinung respektieren würden.
Sie sagen jetzt aber nicht, dass man jeden töten soll, der darum bittet, sondern Sie stellten bestimmte Bedingungen.
Ja, drei Bedingungen: Die ärztliche Feststellung der tödlichen Krankheit, das ärztliche Beratungsgespräch und der notariell beglaubigte Wille. Das sind drei Punkte, die Voraussetzung dafür sind, dass ich mir eine Straflosigkeit vorstellen kann.
Was sind das für Situationen, in denen solche Fragen auftreten? Es geht ja nicht um Beihilfe zum Selbstmord, sondern wohl darum, dass der Arzt die Spritze setzt.
Es muss weder Spritze noch Arzt sein, aber das muss auch gar nicht gesetzlich geregelt werden. Es geht nur um die Straflosigkeit des Helfers. Daneben dürfen die Bereiche der Schmerzlinderung und der persönlichen Sterbebegleitung nicht vernachlässigt werden. Allerdings gibt es eine Zahl von Menschen, denen selbst das nichts nützt, weil es eben bei einem würdigen Sterben nicht nur um Schmerzlinderung geht. Würde ist ein Phänomen, das jenseits der Schmerzen noch andere Kategorien kennt. Real ist es aber nur eine ganz kleine Anzahl von Menschen, für die Sterbehilfe in Betracht kommt.
Denen ihr Weiterleben sinnlos erscheint.
Nicht nur sinnlos, sondern die sich auch nachvollziehbar überfordert fühlen. Aber das sind, wie gesagt, hoffentlich nur wenige Fälle. Die breite gesellschaftliche Debatte ist daraus zu erklären, dass niemand weiß, was mit ihm in zehn Jahren passiert oder in fünf oder zwanzig. Das ist die zweite Zielrichtung meines Vorschlags, den Menschen, insbesondere den vielen, die nie davon betroffen sein werden, die Angst davor zu nehmen, sie könnten selbst einmal betroffen sein. Diesen Menschen möchte ich die Sicherheit geben, selbst verantwortlich ihr Leben bis zum letzten Tag gestalten zu können und sich nicht davor fürchten zu müssen, eines Tages fremdbestimmt zur Hülle ihrer selbst zu werden.
Trotzdem gibt es doch einen Unterschied zwischen Beihilfe zum Selbstmord, wie es die Schweizer Sterbehilfe-Organisation „Dignitas“ praktiziert, und aktiver Sterbehilfe. Dass müssten Menschen sein, die so schwach sind oder so verwirrt, dass sie nicht in der Lage sind, den letzten Schritt selber auszuführen.
Das ist schwierig mit dem letzten Schritt, da zwischen denen, die nicht mehr selbst fähig sind, handeln zu können und denen, die den letzten Schritt noch eigenständig ausführen können, nicht so einfach zu unterscheiden ist. Neben der Strafbarkeit des aktiven Tötens auf Verlangen gibt es noch die durch Unterlassen. Eine Ehefrau macht sich zwar nicht dadurch strafbar, dass sie ihrem Ehemann die tödliche Flüssigkeit hinstellt, wohl aber dadurch, dass sie danach nicht sofort den Notarzt ruft, um lebenserhaltende Maßnahmen einleiten zu lassen, nachdem dieser das Mittel zu sich genommen hat. Unsere Rechtsordnung spricht dem autonomen Sterbewillen jegliche rechtliche Bedeutung ab. Das macht die derzeitige Rechtslage in Deutschland besonders skurril.
Deswegen gehen die Leute von „Dignitas“ zum Sterben ja auch in die Schweiz.
Ja, weil die Schweiz das anders handhabt.
Ihre schärfsten Gegner kommen aus der Deutschen Hospiz Stiftung, sie werfen Ihnen „Populismus“ vor und „Volksverdummung“. Die Hospiz Stiftung versteht sich als Schutzorganisation Sterbender und Schwerkranker.
Ich kann zur Hospiz Stiftung wenig sagen. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass man, um Mitglied der Hospiz Stiftung zu werden, einen Jahresbeitrag bezahlen muss. Die Hospiz-Stiftung hat eigenständige Interessen, die ich respektiere, die aber genauso individuell sind wie die eigenen Interessen anderer. Manch überzogene Wortwahl aus der Ecke der Hospizstiftung erweckt den Eindruck, es handele sich um eine gemeinnützige Einrichtung, deren moralischer Anspruch sich mindestens auf dem Niveau der Heilsarmee befindet.
Die Hospizstiftung sagt, dass so ähnliche Ideen wie die Ihren bereits in den Niederlanden praktiziert werden und zitiert eine Studie, nach der von 4.000 Patienten, bei denen Sterbehilfe geleistet wurde, 1.000 nicht zureichend nach ihrem Willen befragt wurden.
Bei meinem Vorschlag ziehe ich eine eindeutige Grenze, bei der alles von dem erklärten Willen eines Menschen bei vollem Bewusstsein abhängt. Mein Vorschlag ist eindeutig und damit klarer und für Missbräuche vermutlich ungeeigneter als die geltende Rechtslage, bei der in Deutschland derzeit vieles unklar ist, auch die Grenze zwischen Willen und mutmaßlichem Willen. Ich ziehe eine ganz klare Grenze zwischen dem echten, geäußerten Willen und dem, was die Angehörigen, die vielleicht ihre eigenen Interessen verfolgen, einem gerne unterjubeln würden.
Nun sagen die Kritiker, das Gespräch mit dem Arzt mag geführt werden, der Wille notariell beurkundet sein, aber die Patienten werden trotzdem beeinflusst, idealtypischerweise von den Angehörigen. Oder sie sind in einem Zustand der Nicht-Zurechnungsfähigkeit und müssen psychiatrisch behandelt werden.
Genau dieses Wahrnehmungssymptom zeigt einen Mangel an Respekt vor fremdem Willen. Jeder ist zunächst einmal frei, sich zwischen allen Möglichkeiten, die das Leben bietet, zu entscheiden, auch für den eigenen Tod. Und wer das tut, ist nicht per se geistig verwirrt.