: Rebellen überfallen Stadt im Kaukasus
Ein bewaffnetes Kommando greift mehrere Regierungsgebäude in Kabardino-Balkarien an. Dabei kommen Dutzende von Personen ums Leben. Die Republikführung tut, als hätte sie die Lage unter Kontrolle, doch die Menschen fliehen lieber
AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH
Bei einem groß angelegten Überfall auf staatliche Einrichtungen in der nordkaukasischen Republik Kabardino-Balkarien sind nach vorläufigen Angaben mindestens 50 Menschen ums Leben, 70 wurden zum Teil schwer verletzt in Krankenhäuser eingeliefert. Unter den Opfern sind auch mindestens zwanzig Angehörige der Sicherheitsorgane. Der für den russischen Süden verantwortliche Kremlbeauftragte Dmitrij Kozak bestätigte überdies, dass die Aufständischen ein Gebäude der Innenbehörde in der Republikhauptstadt Naltschik besetzt und zahlreiche Mitarbeiter als Geiseln genommen haben. Hinter den Attentätern vermuten staatliche Stellen Mitglieder der in Kabardino-Balkarien (KB) beheimateten radikalislamistischen Gruppe „Yarmuk“, die enge Verbindung zu dem Anführer der tschetschenischen Terroristen, Schamil Bassajew, unterhalten soll. Die Gruppe bekannte sich im Internet zu der Tat.
Der Überfall begann gestern früh zwischen 9 und 10 Uhr. Mehrere mobile Kommandos, die laut offizieller Darstellung zehn bis fünfzehn Mann stark gewesen sein sollen, überfielen zeitgleich 15 staatliche Einrichtungen. Darunter war das Gebäude des Inlandsgeheimdienstes, des Innenministeriums, das Wehrersatzamt, eine Kaserne der 135. Motorschützeneinheit, der Flugplatz Naltschiks und ein Straflager. Zunächst hieß es, die Terroristen hätten auch eine Schule und einen Kindergarten in ihre Gewalt gebracht. Dies dementierte indes der Präsident Kabardino-Balkariens, Arsen Konokow, noch am frühen Nachmittag.
Die Nachrichtenlage ist dennoch höchst widersprüchlich. Verlässliche Informationen liegen weder über die genaue Zahl der Opfer vor, noch ist bekannt, wie viele Terroristen tatsächlich an der Aktion beteiligt waren. Aus unterschiedlichen Quellen vor Ort verlautete unterdessen, dass mindestens 150, wenn nicht 300 Terroristen an dem Überfall beteiligt sein müssen.
„Hier herrscht so ein Wirrwarr, dass wir selbst auf Informationen aus dem Fernsehen angewiesen sind“, gestand ein Mitarbeiter der Republiksregierung gegenüber News.ru. Dabei bezog er sich auf Nachrichten der zentralrussischen TV-Stationen, denn die örtlichen Medien erwähnten die Ereignisse vor der eigenen Haustür mit keinem Wort. Erschwerend kommt hinzu, dass weder das Standnetz noch die Mobilfunknetze in Naltschik funktionieren.
Die Republiksführung versuchte unterdessen, den Eindruck zu erwecken, als hätten die Sicherheitskräfte die Situation unter Kontrolle. 50 Terroristen seien bereits ausgeschaltet worden, verlautete aus dem Regierungsapparat. Bereits für den Abend versprachen die Sicherheitskräfte, die Lage vor Ort wieder in den Griff zu bekommen. Doch daran schien selbst Premierminister Gennadij Gubin zu zweifeln. „Die Sicherheitskräfte versprechen, die Operation bis zum Abend abzuschließen. Wir hoffen, dass sie das Versprechen auch einlösen“, sagte er.
Auch Naltschiks Einwohner trauten den zuversichtlichen Äußerungen der politischen Führung wenig. Scharenweise versuchten Bürger gestern mit Privatautos und Taxis die belagerte Stadt zu verlassen. Laut Augenzeugenberichten liegen auf den Straßen zahlreiche Leichen. Die Kontrollpunkte an den Verwaltungsgrenzen zu den Nachbarrepubliken Nordossetien und Inguschetien wurden kurz nach dem Überfall geschlossen.
Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete überdies an, die Hauptstadt der Bergrepublik abzuriegeln, um Terroristen an der Flucht zu hindern. Angeblich würden Attentäter in Zivil die Panik unter der Bevölkerung nutzen und versuchen, aus dem Kessel zu entkommen. Hubschrauber sollen die Fährte der geflüchteten Terroristen aufnehmen.
Auch über den Auslöser des Überfalls herrscht Unklarheit. Laut offiziellen Angaben könnte die Aktion ein Ablenkungs- und Befreiungsmanöver gewesen sein, nachdem am frühen Morgen Sicherheitskräfte in einem Vorort Naltschiks eine Gruppe von zehn Mitgliedern der „Yarmuk“ umzingelt hatten. Erst dann hätten die Terroristen den groß angelegten Angriff lanciert.
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