: Schröders Heimspiel am Bosporus
Der Noch-Kanzler wird in Istanbul umjubelt und verspricht andauernde Unterstützung
ISTANBUL taz ■ Der Einmarsch in den Ballsaal des Grand-Cevahir-Hotels in Istanbul glich dem Triumphzug auf einem Parteitag. Unter dröhnenden Mozartklängen, einem dichten Kamerapulk vorneweg, schritt Nochbundeskanzler Gerhard Schröder auf den Ehrentisch im mit 2.000 Gästen gefüllten Raum zu.
Den türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan im eiligen Schlepptau wollte Schröder offenbar auf den letzten Metern eine kleine, aber bedeutsame Verspätung wettmachen. „Ezan 18.38 Uhr“ stand auf dem Programm, und diesen Zeitpunkt wollte niemand im Saal verstreichen lassen. Genau zu dieser Minute setzte am Mittwochabend in Istanbul der Imam zum Gebetsruf an und gab damit wie jeden Abend im heiligen Monat Ramadan das Startzeichen zum Essen. Schröder hin oder her, als der Kanzler zu spät kam, gab es an den über hundert Tischen kein Halten mehr.
Zu seinem Abschiedsbesuch in der Türkei hatte Erdogan seinem Freund Gerhard Schröder die Ehre erwiesen, erstmals einen westlichen Politiker zum Iftar, dem Fastenbrechen, einzuladen. Es wurde eine Abschiedsvorstellung ganz nach Schröders Geschmack. Die geladenen Gäste, bis auf einige Repräsentanten wie dem griechischen Patriarchen Bartholomäus allesamt Mitglieder der regierenden AK-Partei, klatschten begeistert. Als Schröder in seiner Rede darauf hinwies, dass mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei am 3. Oktober das Konzept der privilegierten Partnerschaft „historisch erledigt“ sei, erntete er gar Standingovations.
Istanbul, die erste Station Schröders nach seiner offiziellen Ankündigung, nicht mehr mitregieren zu wollen, geriet für ihn zu einem Heimspiel. Nichts als unverhohlene Bewunderung und echt empfundener Dank für Schröders Unterstützung der türkischen Bemühungen auf dem Weg nach Europa. „Wir werden die Freunde, die uns in einer kritischen Zeit beigestanden haben, nie vergessen“, kündigte Erdogan an. Schröder war gerührt.
Als ein „Treffen der Zivilisationen“ titulierte die Veranstaltungsregie die Teilnahme Schröders am muslimischen Fastenbrechen und versuchte so, der gemeinsamen EU-Politik von Schröder und Erdogan noch zusätzliche symbolische Tiefe zu verleihen. Nach dem Klein-Klein von Luxemburg vor einer Woche ging es am Mittwochabend vor allem um die große Dimension. Schröder begründete seinen Einsatz für die Türkei damit, dass ein überwiegend muslimisches Land mit einer modernen Demokratie innerhalb der EU der beste Beitrag zum Kampf gegen religiösen Extremismus sei. Auch Erdogan sah in einer EU inklusive Türkei ein Friedensprojekt für die ganze Menschheit.
Nach dem gemeinsamen Essen entführte Erdogan seinen Freund Schröder noch zu einem Tête-à-Tête im engsten Kreis in seinen historischen Amtssitz am Bosporus. Dort dürfte ihm Schröder bereits den kommenden Außenminister Frank Walter Steinmeier angekündigt haben, der für die Kontinuität der deutschen Türkeipolitik sorgen soll. Nicht umsonst versuchte Schröder in der abschließenden Pressekonferenz, alle Ängste vor einer Kanzlerin Merkel zu zerstreuen, und kündigte an, dass sich auch die kommende Bundesregierung „selbstverständlich“ um gute Beziehungen zur Türkei bemühen wird.
JÜRGEN GOTTSCHLICH