In der Heimat, doch bedroht

AUS QAMISHLI KRISTIN HELBERG

Draußen auf der Straße gehen zwei Männer vom Geheimdienst auf und ab, drinnen in einem mehrstöckigen Haus in der syrischen Stadt Qamishli schlürfen einige kurdische Oppositionelle schwarzen Kaffee und schimpfen auf die herrschende Baath-Partei. Ihr arabischer Nationalismus lasse keinen Platz für andere, sagt Ibrahim al-Yussif, ein Lehrer, und setzt nach: „Syrien redet seit über vierzig Jahren nur von arabischer Kultur und Zivilisation – als ob es hier nichts anderes gäbe.“ Offiziell darf al-Yussif kein Kurdisch reden, keine kurdischen Bücher lesen und nicht auf Kurdisch schreiben.

Mashaal Tammo, in dessen Wohnzimmer die Debatte stattfindet, fordert Gleichberechtigung für die rund 1,8 Millionen syrischen Kurden: kurdischen Sprachunterricht an Schulen, eigene Medien und Parteien. Er ist Sprecher der Zukunftsbewegung, einer von dreizehn kurdischen Organisationen, die im Untergrund arbeiten. Tammo fragt: „Warum machen wir aus der Arabischen Republik Syrien nicht eine Republik Syrien, in der sich alle Volksgruppen als Syrer fühlen können?“ Die Leier von der arabischen Einheit habe selbst syrische Oppositionelle betäubt, sagt der Aktivist. „In Damaskus demonstrieren sie für die Befreiung Palästinas und des Irak, statt sich erst einmal selbst zu befreien!“

In Qamishli ist es anders. Zwar sieht es hier aus wie überall sonst in Syrien: Expräsident Hafis al-Assad grüßt als Statue am Ortseingang, Bilder seines Sohnes Baschar zieren öffentliche Gebäude, Straßen und Geschäfte tragen arabische Namen. Aber wer genau hinhört, nimmt das andere Qamishli wahr: Der Falafelverkäufer spricht Kurdisch, der Küchenwarenhändler Assyrisch, und Abu Albert, Qamishlis letzter Jude, spräche Hebräisch, hätte er dazu Gelegenheit.

Der Geheimdienst ist überall

Qamishli ist eine kosmopolitische Stadt im Nordosten Syriens. Die Vielfalt ihrer 200.000 Einwohner sorgte früher für Toleranz und Offenheit, jetzt liegt eine Anspannung über der Stadt. Mehrfach kam es in den vergangenen zwei Jahren zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, am Ende kämpften stets Kurden gegen Araber. Es gab zerstörte Läden, Verletzte und im März 2004 sogar Tote. Seitdem kontrollieren die Geheimdienste jede Bewegung. Hotelbesitzer müssen über ihre Gäste berichten, Ausländer werden auf Schritt und Tritt verfolgt, Ladenbesitzer gewarnt, sich mit Fremden zu unterhalten.

Für politische Gespräche bleibt nur das Wohnzimmer. Gastgeber Tammo befürchtet, dass sich die Feindseligkeit jederzeit entladen könne. Wie zuletzt am 5. Juni 2005, als in Qamishli tausende Kurden gegen den Mord an dem kurdischen Scheich Mohammed Maashuq Khaznawi protestierten. Der populäre Geistliche setzte sich für einen gemäßigten Islam und die Rechte der Kurden ein – für das syrische Regime eine gefährliche Mischung. Als sich der Scheich bei einem Europabesuch mit dem Chef der verbotenen syrischen Muslimbrüderschaft traf und damit eine Brücke zwischen kurdischer und islamischer Opposition schlug, hatte er die rote Linie endgültig überschritten. Wenig später war er tot. Murad Khaznawi, der älteste Sohn des Scheichs, macht die Behörden für den Mord verantwortlich. Der Geheimdienst habe seinem Vater gedroht, dass er dafür bezahlen müsse, sollte er den Islam für den kurdischen Kampf benutzen.

Diese Anschuldigungen haben Murad Khaznawi vorübergehend ein Redeverbot eingebracht, inzwischen darf er wieder predigen – allerdings nicht über Politik. Die Moschee seines Vaters, in der der 30-Jährige fortan das Freitagsgebet leitet, ist eine unverputzte Baracke im Armenviertel. In den Lehmhütten der Umgebung leben viele Kurden, die sich nicht nur ausgeschlossen fühlen, sondern es per Gesetz auch sind: Sie haben keine Staatsangehörigkeit, weder die syrische noch eine andere. Ahmad* ist einer von ihnen. Seine Eltern stammen aus Qamishli, doch 1962 nahm die syrische Regierung dem Vater und zehntausenden anderen den Pass ab. Obwohl Ahmeds Mutter die syrische Staatsbürgerschaft besitzt, sind ihre neun Kinder Staatenlose. Mehr als 150.000 syrische Kurden teilen heute dieses Schicksal.

Statt eines Passes hat Ahmed eine rote Identitätskarte aus Pappe. Damit könne er zwar nach Damaskus oder Aleppo fahren, aber nicht ins Ausland, erzählt der 21-Jährige. Er könne nicht studieren, nicht im Hotel übernachten, nicht beim Staat angestellt werden und weder ein Haus noch einen Laden auf seinen Namen anmelden. Seit zwei Monaten sitzt er zu Hause und schämt sich, seine Mutter um Geld für Zigaretten bitten zu müssen. Er findet keinen Job. Sein Vater verkauft von einem Handkarren belegte Brötchen, wenn er abends mit 150 Lira, umgerechnet 2 Euro nach Hause kommt, war es ein guter Tag.

150.000 chancenlose Kurden sind ein Problem für Syrien, das hat auch die Regierung erkannt. Daher versprach sie Anfang Juni, einen Teil von ihnen einzubürgern, doch bis jetzt ist nichts passiert. Die Folge: Syriens Kurden werden von Tag zu Tag kurdischer, viele bezeichnen die Region um Qamishli bereits als kurdisches Land. Der Gouverneur der Provinz Hassake ist darüber empört. „Die Kurden kommen aus der Türkei“, behauptet der Gouverneur. „Wir nehmen sie auf und behandeln sie wie Bürger, und dann sagen sie, das Land hier sei Kurdistan.“ Nidal Darwisch, der für das nichtstaatliche Komitee zur Verteidigung demokratischer Freiheiten und Menschenrechte arbeitet, widerspricht: „Während andere Minderheiten wie die Armenier als Flüchtlinge nach Syrien kamen, gehören Kurden zu den ursprünglichen Einwohnern des Landes.“

Allerdings ist die Zahl der Kurden in den vergangenen 40 Jahren deutlich gestiegen – aufgrund von Kinderreichtum und Zuzügen aus der Türkei und aus dem Irak, wo es den Kurden lange Zeit schlechter ging als in Syrien. Damaskus reagierte darauf mit einer Arabisierung der Grenzregion. Kurdische Dörfer erhielten arabische Namen und arabische Nachbardörfer. Seitdem steht neben Attanuria, einer kurdischen Ortschaft östlich von Qamishli, das arabische Neu-Attanuria.

Die kurdischen Kinder aus Attanuria gehen nach Neu-Attanuria zur Schule, ansonsten gebe es kaum Kontakte zwischen den Dörfern, sagt Hassan Saleh, der in Attanuria lebt. Saleh ist der Generalsekretär der Yekiti-Partei, die als die radikalste kurdische Gruppe gilt. Er spricht von arabischer Besatzung und kurdischer Intifada. 15.000 Araber seien entlang der türkischen Grenze angesiedelt worden, behauptet Saleh. Zehntausende Kurden seien zuvor aus der Türkei gekommen, behauptet dagegen der Gouverneur. Die Araber fühlen sich inzwischen als Minderheit, die Kurden wiederum fühlen sich zwangsarabisiert. Der demografische Kampf ist in vollem Gange, und beide Seiten argumentieren ähnlich. „Rassismus mit Rassismus zu bekämpfen, funktioniert nicht,“ sagt der Menschenrechtler Nidal Darwisch. Statt den anderen abzulehnen, sollten Kurden und Araber an einer pluralen Demokratie arbeiten.

Das innenpolitische Engagement der Kurden ist für Syrien neu. Jahrzehntelang hatte Damaskus sie als strategisches Instrument gegen die Türkei und den Irak benutzt. In Zeiten schlechter Nachbarschaft mit Ankara und Bagdad bot Syrien kurdischen Widerständlern wie dem PKK-Chef Öcalan und Iraks Kurdenführer Barsani Unterschlupf. Jetzt, da Saddam Hussein entmachtet ist und die türkische Regierung ihr Kurdenproblem am Verhandlungstisch lösen will, rächt sich das. Aus dem geostrategischen Spielball ist eine innenpolitische Bedrohung geworden.

Keine kurdischen Alleingänge

Die kurdische Szene in Syrien teilt sich in zwei Strömungen. Die eine sehen sich als Speerspitze der Opposition und als Schlüssel zur Demokratie. Erst wenn die Kurden ihr Recht bekommen, könne es überhaupt Demokratie geben, sagt ihr Vertreter Hassan Saleh. Die andere arbeitet mit der arabischen Opposition zusammen und lehnt kurdische Alleingänge ab. „Wir müssen uns die Demokratie gemeinsam erkämpfen“, sagt Abdulhamid Darwisch, Generalsekretär der Kurdisch-Demokratischen Fortschrittspartei. „Dann wird sich das Kurdenproblem von selbst lösen.“

Sechs Jahre versteckte sich Darwisch im syrisch-türkischen Grenzgebiet, heute sitzt der 69-jährige in einem Sessel seines Empfangssalons. Neben sich ein Foto, das ihn mit einem längjährigen Weggefährten zeigt: dem irakischen Präsidenten Talabani. Die Erfolge ihrer Landsleute im Irak haben bei den syrischen Kurden Hoffnungen geweckt. „Alle Kurden wünschen sich einen eigenen Staat“, sagt Darwisch und spricht damit aus, was sonst kaum ein Kurde in Syrien zu sagen wagt. Da sich dieser Traum im Moment jedoch nicht verwirklichen lasse, müssten sie für realistische Ziele kämpfen, für kulturelle Rechte und politische Mitbestimmung, sagt er. „Wer in Syrien heutzutage eine kurdische Fahne schwenkt, dient dem Regime.“ Denn er liefere den perfekten Vorwand, die Kurden zu unterdrücken.

Das Treffen in der Wohnung von Mashaal Tammo geht zu Ende, die Kaffeeschalen sind leer. Damaskus setze bei den Kurden weiter auf Repression, sagt Tammo. Das Schlimmste aber sei, dass die Geheimdienste die Menschen gegeneinander aufhetzten. „Früher haben sie uns bei Demonstrationen festgenommen, heute schicken sie meinen arabischen Nachbarn, damit er mich verprügelt.“ Um selbst an der Macht zu bleiben, provoziere das Regime einen Bürgerkrieg, sagt Tammo. „Das ist ein Spiel mit dem Feuer.“

* Name geändert