Olympia Brasilien hofft auf einen vorderen Platz in der Nationenwertung. Doch es gibt kaum Vereine, und Talente werden nicht erkannt – nicht zuletzt, weil Rassismus grassiert
: Endlich mal besser sein als 1920

Olympische Fackelläuferin, Kapitänin des brasilianischen Volleyballteams und Kämpferin für Gleichberechtigung: Fabiana Claudino Foto: reuters

aus Río de Janeiro Andreas Behn

Für Brasilianer zählt im Sport nur der Sieg. Schon der zweite Platz kommt einer Niederlage gleich. „Dabei sein ist alles“ klingt wie eine Provokation. Nur gut, dass Brasilien als bisher einziges Land fünfmal die Fußball-Weltmeisterschaft gewann, die eindeutige Nummer eins also im Lieblingssport.

Dieser Leistungsdruck stellt den Gastgeber von Rio2106 vor Herausforderungen. Außer im Fußball vielleicht noch beim Wellenreiten oder im Volleyball gibt es im größten Land Lateinamerikas weder große Begeisterung noch große Stars. Im Gegenteil, in olympischen Disziplinen wie Rasenhockey, Rugby und Badminton wird Brasilien bei der Rio2016 zum allerersten Mal antreten.

Gold-Hoffnungen gibt es nicht viele. Dennoch hat sich das Nationale Olympische Komitee hohe Ziele gesteckt: Mindestens 27 Medaillen sollen es werden, und damit sollte Brasilien im Medaillenspiegel erstmals unter den besten zehn sein. Die bisher beste Platzierung gab es bei der ersten Olympia-Teilnahme im Jahr 1920 in Antwerpen mit Platz 15. Die meisten Medaillen – 17, darunter drei goldene – errang Brasilien bei den letzten Spielen, 2012 in London, was aber nur für den 22. Platz reichte.

Neben Schwimmen, Segeln und Judo gehört Strand- und Hallenvolleyball zu den Sportarten, in denen Brasilianer gut abschneiden. Dieses Jahr kommt bei den Mannschaftssportarten Frauenhandball hinzu. In London kam das Team hier nur ins Viertelfinale, 2013 dann schon der Titelgewinn bei der Weltmeisterschaft. In Rio zählen die Brasilianerinnen zu den Favoriten. Im Volleyball will der Gastgeber alle Modalitäten dominieren. In der Halle stehen Frauen wie Männer an der Spitze der Weltrangliste, auf Sand belegen brasilianische Frauenteams die ersten beiden Plätze, nur die Männer liegen etwas abgeschlagen auf Rang vier.

Fabiana Claudino gewann bereits zwei olympische Goldmedaillen in der Halle und wird in Rio Spielführerin sein. Präsidentin Dilma Rousseff persönlich bestimmte sie zur ersten Trägerin der olympischen Fackel, die seit Anfang Mai vom Regierungspalast in der Hauptstadt Brasiliens aus durch das gesamte Land getragen wird.

Claudino ist in Brasilien nicht nur wegen ihrer sportlichen Erfolge bekannt, sondern auch, weil sie sich immer wieder energisch und mutig gegen Diskriminierung stellt. „Als Athletin, als Frau und als Schwarze poche ich darauf, dass wir uns alle für Gleichheit einsetzen“, sagte sie unmittelbar nach dem Fackellauf. Der Kampf gegen Vorurteile komme voran, aber es sei noch ein langer Weg, da insbesondere für Schwarze keine Chancengleichheit bestehe.

Schon oft war die 31-Jährige bei Ligaspielen rassistischen Beschimpfungen ausgesetzt. Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Aktiven thematisiert Claudino die Vorurteile: „Ich will nicht wegen meiner Titel respektiert werden, das wäre Blödsinn. Ich verlange Respekt als Bürgerin, als Mensch.“

Im Segeln sind zumindest drei Medaillen angepeilt, allen voran durch Robert Scheidt, den bislang erfolgreichsten Olym­pia­teilnehmer Brasiliens – zwei Gold, zwei Silber und eine Bronze in den Bootsklassen Laser und Star. Der 43-Jährige tritt zum sechsten Mal bei Olympischen Spielen an. „Zum ersten Mal gehe ich nicht als Favorit ins Rennen, das ist eine Erleichterung“, sagt Scheidt. Andererseits weiß er: „Vor heimischem Publikum ist die Herausforderung besonders groß.“

„Als Athletin, als Frau und als Schwarze poche ich darauf, dass wir uns alle für Gleichheit einsetzen“

Fabiana Claudino, Volleyballspielerin

Sarah Menezes ist die erste brasilianische Judoka, die olympisches Gold errang, vor vier Jahren in London. Bereits mit 18 Jahren war sie in Peking dabei, bei den Spielen in Rio, die vom 5. bis 21. August ausgetragen werden, will sie unbedingt wieder aufs Treppchen. „Meine Eltern waren gegen Judo, da dies als eine sehr männliche Sportart gilt“, erinnert sich Menezes. Sie stammt aus Piauí, einem der ärmsten Bundesstaaten im Nord­osten des Landes.

Der Weg an die Spitze war für Menezes sehr mühsam. Weder Breitensport noch Talente des Hochleistungssports werden in Brasilien ausreichend gefördert. „Ich musste mich selbst um Sponsoren kümmern. Training, Wettkämpfe, für alles musste ich selbst aufkommen, bis ich es endlich in die Auswahl schaffte.“ Dort angelangt, mit 15 Jahren, wurde es einfacher, jetzt kümmerte sich der Verband um den vielversprechenden Nachwuchs.

Wie viele, die Hochleistungssport betreiben wollen, ging Sarah Menezes zum Militär, für Aktive aus armen Verhältnissen oft die einzige Chance, Sport zu betreiben, ohne den Anschluss in der Ausbildung zu verlieren. Anders als Großbritannien, das für die London-Spiele ein erfolgreiches Programm zur Förderung des Spitzensports aufgelegt hatte, genießt Sport hier kein so hohes Ansehen. Das Vereinswesen ist nicht ausgeprägt, ganz im Gegensatz zu den Fitnesscentern, die überall in Brasilien eine Wachstumsbranche sind.

Eine Goldmedaille im Fußball wäre Brasilien besonders wichtig, zumal weder die Frauen noch die Männer jemals ganz oben auf dem Podest standen. Diesmal soll es Superstar Neymar hinbekommen, der für die Olympischen Spiele sogar auf die Copa America im Juni verzichtete, da sein Verein FC Barcelona ihn nur zu einem der beiden Turniere freigeben wollte. Doch nach der WM-Pleite im eigenen Land und dem Ausscheiden noch in der Vorrunde bei der kontinentalen Meisterschaft stehen die Chancen der Seleção auf olympisches Gold eher schlecht.