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Der Sound des stummen Films

KINO Ein Festival im Babylon Mitte widmet sich der sowjetischen Filmavantgarde. Mit Fokus auf der Begleitmusik

von Carolin Weidner

Kein großer Freund von Begleitmusik für Stummfilme war Rudolf Arnheim. Seiner Ansicht nach wüsste man deren Wegfall recht bald zu schätzen, wenn man sich denn erst einmal daran gewöhnt hätte, die Filme ohne sie zu gucken. Trotz der Abneigung gewähren seine Ausführungen interessante Einblicke: „In den letzten Jahren des stummen Films hatte man angefangen, eine Art Kultus mit ihr (der Begleitmusik) zu treiben. Die Dirigenten der großen Kinotheater waren ebenso berühmte Leute wie die Regisseure, deren Filme sie „illustrierten“, und die Zeitungen bestellten eigene Filmmusikkritiker, die mit ernster Miene begutachteten, ob die Begleitung passend oder nicht und von welcher Qualität die verendete Musik gewesen sei“, schreibt er in seinem Klassiker „Film als Kunst“. Außerdem „komponierten bekannte Musiker ganze Filme, und an den Konservatorien und Hochschulen wurden eigene Klassen für Filmmusik gegründet“. „Unnützerweise“, wie der Purist Arnheim bemerkt.

Dass es doch etwas Besonderes auf sich hat mit dieser Begleitmusik, wird jeder bezeugen können, der einmal in den Genuss jenes Zusammenspiels gekommen ist. Wenn Musiker ein feines Gespür für die sich offenbarenden Bildwelten und die in ihr liegende Emotionalität entwickeln, die dramaturgische Bögen zu begleiten verstehen und ihnen eine eigne Note verleihen. Es ist bekannt, dass das Kino Babylon in Mitte zu den Unterstützern dieser Kunstform zählt – nicht umsonst hat die Kinoleitung vor zwei Jahren eine eigene Kinoorganistin eingestellt. Sie heißt Anna Vavilkina und freut sich ganz besonders auf das zwischen dem 23. und 31. Juli stattfindende Stummfilmfestival, das der sowjetischen Film­avant­garde gewidmet sein wird. Zwanzig Filme sind während des Festivals zu sehen und neben Vavilkina auch fünf weitere Musiker zu hören – Organisten aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und Deutschland.

Eröffnet wird das Festival aber mit einer Improvisation, wie Anna Vavilkina ankündigt. Für „Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki“ (UdSSR 1924) von Lew Kuleschow wird sie von dem Vio­linisten Mark Chaet begleitet. Vavilkina führt aus: „Normalerweise hatte man zu Stummfilmen ein ganzes Orchester. Improvisationen waren eher für kleinere Produktionen vorgesehen wie zum Beispiel für Kurzfilme, Zeichentrickfilme oder Nachrichten. Jene, die nicht ganz so geschickt mit dem Improvisieren waren, haben sich auch aus mehreren Stücken etwas zusammengeschrieben. Heute haben viele Organisten aber ohnehin Improvisation studiert.“ Der Eröffnungsfilm zeigt Moskau aus den Augen des Amerikaners John West, Vorsitzender des YMCA (Young Men’s Christian Association), der mit großer Neugier und großen Vorurteilen in das Land der „bewaffneten Meuchelmörder“ reist.

Die Dirigenten der großen Kinos waren ebenso berühmt wie die Filmregisseure

Und Kuleschows Film liegt der Moskauerin Vavilkina betont am Herzen, „weil man hier alte Aufnahmen der Stadt sehen kann. Zum Beispiel eine Kathedrale (Chram Christa Spasitelja, Christ-Erlöser-Kathedrale), die einige Jahre später zerstört wurde. Jetzt hat man sie zwar wieder aufgebaut, aber dennoch. Man sieht eine wilde Verfolgungsjagd in guter amerikanischer Tradition, nur eben in Moskau, das ist sehr spannend.“ Andere Filme, welche die Hausorganistin unbedingt im Programm wissen wollte: „Das Zigarettenmädchen vom Mossel’prom“ (UdSSR 1924) von Juri Zheljabushskij und „Cosmic Journey“ (UdSSR 1936) von Vasili Zhuravlov, Letzteres eine Science-Fiction-Erzählung.

Wie begleitet man diese Filme? „Das macht jeder auf seine eigene Art“, erklärt Vavilkina. „Es geht schon um einen persönlichen Stil. Einige arbeiten mit Zitaten, andere mögen es minimaler. Ich neige schon sehr zum Traditionellen, aber ich möchte mich da nicht festlegen. Natürlich kommt es immer auf den Film an – ist es eine eine Komödie, ein Liebesfilm? „Cosmic Journey“ ist experimenteller, also kann man auch mit der Musik mehr experimentieren oder minimalere Sachen machen. Schließlich befindet man sich ja auf dem Mond.“ Eine Liebeskomödie mit Slapstick-Elementen hingegen ist „Das Zigarettenmädchen von Mossel’prom“. Und auch Boris Barnets „Das Mädchen mit der Hutschachtel“ (UdSSR 1927) mutet komödiantisch an, wenn auch etwas trist. In jedem Fall darf man gespannt sein, wie „die beglückende Mischung von Melancholie und Ekstase“ (Filmmuseum Wien) im Kinosaal erklingen wird.

Sowjetische Filmavantgarde live: 23.–31. 7., Babylon Mitte, Festivalprogramm: www.babylonberlin.de

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