: Es war einmal im Geisterschloss
Kirmes-Alarm: Der Bremer Freimarkt und der Hamburger Dom werben mit ihrer schieren Größe. Dabei ist ein Volksfest doch ein eher nostalgisches Vergnügen. Die taz nord unternimmt den Versuch, in der Geisterbahn das Gruseln zu lernen
von Benjamin Moldenhauerund Benno Schirrmeister
Das ist also das Geisterschloss. Oben, über dem Eingang thront eine Wuchtbrumme in schweinchenrosa, Körbchengröße XXXL, die hexenmäßig auf einem Drachen reitet. Das Geisterschloss lässt sich in Einzelteile zerlegen und transportieren. Momentan steht es auf der Bremer Bürgerweide, also direkt hinterm Hauptbahnhof, wo seit Menschengedenken im Oktober der Freimarkt stattfindet. Gestern war Eröffnung, am Abend mit Feuerwerk.
Der Freimarkt ist eine Riesenkirmes, laut Veranstalter die größte im Norden. Es gibt Lebkuchenherzen, Würstchen und Bier satt. Und das Geisterschloss ist eine Geisterbahn. Eine von dreien in Deutschland, in der echte Geister-Darsteller unter den Besuchern für Angst und Schrecken sorgen sollen, und von diesen dreien wiederum – natürlich – die größte. Die wuchtige Drachereiterin ist allerdings nicht lebendig. Eine Pappmaché-Figur, denkt man, klarer Fall, aber falsch geraten. Wer nachfragt erfährt: Das ist alles Polyester. Logisch. Wahrscheinlich in der Anschaffung teurer, aber das amortisiert sich. Bestimmt. Ist ja besser abwaschbar, wetterunempfindlich und überhaupt: Dauerhafter.
Allerdings: Nicht so dauerhaft wie die Erinnerung. Auf den Jahrmärkten der Kindheit waren die Geisterbahnen Lieblingsorte. Fledermäuse, die an Drähten und mit infernalischem Gelärme an den Köpfen der Besucher vorbeiziehen, grüne und rosa Nebel, das tanzende Skelett, das mal wieder geölt werden müsste. Herrlich. Die Welt, die von alptraumhaften Figuren in domestizierter Form bewohnt wurde, hatte etwas Aufregendes und Beruhigendes zugleich. Das ganze Taschengeld: Eine Mark fuffzig am Schalter gegen einen gelben Plastik-Chip mit geprägten Goldlettern eingetauscht, in den schwankenden Wagen gesetzt – dann wurde der Chip wieder eingesammelt. Und als ich über die Brücke kam, sturzelten mir die Gespenster entgegen.
Irgendwann hat man das Ganze dann in pubertärer Überhebung nur verächtlich angeschaut. Das war ja nie wirklich gruselig gewesen oder Furcht einflößend, da gab’s die kurzen Schocks, aber die reichten keineswegs mehr aus, um die sich erwachsen fühlende Fantasie zu befeuern. Um sich männlich zu fühlen, war der Autoscooter besser geeignet. Und um sich zu gruseln war der Horrorfilm das Mittel der Wahl.
Einer der ersten Horrorfilme war „Das Cabinett des Doktor Caligari“, der stammte noch direkt aus dem Rummelplatz. Aber wenn es um fröhliche Selbstterrorisierung geht, hat Kino seiner ersten Heimat, dem Jahrmarkt, inzwischen den Rang abgelaufen. Die Geisterbahnen sind dennoch nicht verschwunden. Die größte Anlage steht in der grindigsten Würstelhölle Westeuropas, im Wiener Prater. Und sie wird noch immer gut besucht. Die erste Bahn des Familienbetriebes Judenhofer und Kunz zuckelte 1945 angetrieben von alten Flugzeugmotoren über die Schienen. Die jüngste ist das Geisterschloss, Baujahr 1996, in Bremen ist es zum ersten Mal zu Gast. Die Familientradition aber schreibt Andreas Kunz, der Inhaber, schon viel länger fort, seit 15 Jahren. „Ich bin in der Geisterbahn groß geworden“, erzählt der 33-Jährige. Der Vater wird unterdessen in der Geisterbahn alt: Er betreut das Kassenhäuschen, nicht immer, aber doch ziemlich oft.
Warum die Leute trotz konkurrierender Angebote immer wieder auch auf die gute alte Geisterbahn zurückgreifen, kann Kunz auch nicht sagen, aber dass sie’s tun um sich zu gruseln, dessen ist er sich gewiss. Manche, weiß der kräftig-gebaute Mann mit Kurzhaarschnitt zu berichten, kämen weinend raus. „Je schlimmer es ist, desto mehr Spaß haben die Besucher.“ In diesem Jahr hatte Kunz sein Polyesterschloss schon auf der Wies’n aufbauen lassen, und auch die acht Freak-Darsteller hat er aus München mitgebracht. Das erlaubt eine aufs Wesentliche reduzierte Kommunikation: „Los geht’s“, scheucht er Wolfsmann, Skelette und den Psychopathen samt dazugehöriger Kettensäge in die Dunkelheit.
Die Wägelchen schwanken nicht mehr. Zumindest nicht so stark wie früher. Geblieben sind die Chips, allerdings nicht für die Presserundfahrt. Die Wägelchen sind schwarz und vergittert, außer ganz vorne, da ist ein Loch, durch das eine eisige Hand greifen könnte. Die gibt es aber nicht.
Rund eine Minute zuckelt das Gefährt durchs tiefstmögliche Dunkel, ständig belagert und attackiert von schwarzen Männern – es sind wirklich alles Männer – mit fluoreszierenden Knochen. Eine raue Stimme schreit sehr laut: Buh! und kloppt aufs Schutzeisen. Ziemlich kindisch. Aber es wirkt. Bevor sich die Augen an die Kunstnacht gewöhnt haben, geht’s raus auf den Balkon, hinter dem Rücken der rosa Wuchtbrumme entlang, wo sich ein Gespensterdarsteller ans Fahrzeug hängt.
Das ist eine besondere Attraktion, dass da ein Gespenst mitfährt, und sie musste extra von der Betriebsgenossenschaft abgenommen werden, die für die Versicherung zuständig ist. Wie überhaupt die Wiedereinführung von durch lebende Geister begruselten Geisterbahnen vor zwei Jahren erhöhte Sicherheitsauflagen mit sich brachte. Die Gitter zum Beispiel sind Pflicht. Wobei nicht immer ganz klar ist, wer hier vor wem geschützt wird. Denn im Gegensatz zum erschauernden Kind führt sich der erwachsene Geisterbahnbesucher mitunter arg respektlos auf. „Ab 21 Uhr geht’s los, da kommen die Besoffenen, da kann man die Uhr nach stellen“, erzählt Andreas Kunz. Früher hätten manche Gäste was mitgehen lassen, die Figuren beschädigt. Oder die Schauspieler begrabbelt, die vor dem Grusel-Geschäft Freak spielten, als Anreißer. Aktenkundig ist ein Vorfall vom Oktoberfest, bei dem ein Geist, einen Gast ohrfeigte. Notwehr? Die Ermittlungen der bayrischen Polizei konnten es nicht klären. Der Gast erhielt eine Freifahrt zur Kompensation, dann war der Streit beigelegt.
Vom Balkon geht’s zurück ins Dunkle, zurück in die Finsternis und der Killer aus „Scream“ schlägt wie jeck das Messer an die Drahtgitter des Wagens, brüllt wie am Spieß, um den Fahrgast das Fürchten zu lehren. Spätestens wenn ein Kind in der Geisterbahn anfängt zu weinen, muss die Maske runter. So eng also liegen Furcht und Mitleid beieinander.