: Sich um die Zukunft sorgen
Mit dem Rückzug des Staates aus den sozialen Sicherungssystemen werden die Bürger zu mehr Eigenverantwortung gezwungen. Manchen fehlen dazu jedoch schlicht die Mittel. Ein Gespräch mit dem Versicherungsmakler Christian Werner
taz: Sind wirtschaftlich unsichere Zeiten wie diese gute Zeiten für die Versicherer?
Christian Werner, Geschäftsführer „Andere Wege“: Ich erlebe es eher als Aufwachmöglichkeit für die Menschen. Jeder sieht jetzt, die Zeiten sind unsicherer geworden hinsichtlich der Zukunft, aber man kann sich im Grunde mehr darauf verlassen, dass die Zeiten unsicher sind.
Eine schöne Sicherheit.
Nun – man muss gucken, dass man selbst in die Tat kommt.
Sprich, positiv gewendet, ist es ein Weg zu mehr Eigenverantwortlichkeit.
Das ist das, was wir in den Sparten, in denen wir tätig sind, erleben. Also Altersvorsorge, Berufsunfähigkeit, ökologische Geldanlage, Krankenversicherung. Da ist es ganz deutlich, dass die Menschen sehr sehr wachsam sind und sich selbst kümmern. Es kommen auch immer mehr junge Menschen auf uns zu, und auch Eltern und Großeltern kümmern sich zunehmend.
Die Renten der jetzt im Ruhestand lebenden Menschen sind ja auch im Vergleich zu denen der heutigen Arbeitnehmer deutlich sicherer.
Zudem ist es ein Trend, der deutlich macht: Die jungen Menschen können das eigentlich gar nicht alleine leisten. Denn die Bereiche, die da dazugekommen sind, sind beträchtlich: Wenn man nur die Altersvorsorge und die Berufsunfähigkeit anguckt, die jetzt von jedem selbst geleistet werden muss, dann übersteigt das, wenn man nicht allzu viel verdient, die Möglichkeiten der meisten jungen Menschen.
Was eine ironisch anmutende Situation ist: Viele junge Leute, Akademiker, gut ausgebildet, die überhaupt das Glück haben, eine Stelle zu finden, verdienen so wenig, dass sie für Vorsorge kaum Mittel haben.
Das erlebe ich sehr unterschiedlich – da entsteht deutlich eine Schere: Wir haben viel zu tun mit sehr gut verdienenden jungen Menschen, aber auch mit Akademikern, die entweder gar keine Arbeit haben oder auch Arbeitnehmer, die schlicht ausgebeutet werden. Und die müssen sich schon entscheiden, ob sie den Schwerpunkt legen auf die Absicherung bei Berufsunfähigkeit oder auf die Altersvorsorge.
Eine Entscheidung, die man eigentlich ja gar nicht treffen kann.
Auch nicht treffen sollte, meines Erachtens. Aber gerade die Berufsunfähigkeitsversicherung ist nicht billig. Es ist eben so, dass die Mittel für viele nicht ausreichen, wenn man nicht auf alles verzichten möchte. Und da sind die Statistiken deutlich: Die Altersvorsorge steht da weit vorne – teilweise noch vor dem Urlaub.
Gleichzeitig macht eine große Bank Werbung für Altersvorsorge mit Plakaten, auf denen ein alter Mann Schuhe putzt, unter dem Slogan: „Manchmal ist das ganze Leben Arbeit“. Ist das noch seriös?
Na ja, über Werbung in der Versicherungsbranche möchte ich mich hier nicht weiter auslassen. Das ist teilweise weit unter der Gürtellinie und wenig hilfreich. Was da im Grunde ausgesagt werden soll, ist: Kümmere dich rechtzeitig um die Altersvorsorge. Die Methoden, die da angewendet werden, sind sicher ziemlich fragwürdig, aber vom Grundsatz her ist klar: Man muss heute viel früher anfangen, sich selbst um die Altersvorsorge zu kümmern. Es war vor sechs, sieben Jahren noch nicht klar, dass es so weit abwärts gehen würde. Deutlich ist nur, dass der privaten Anteil steigen wird.
Denn der Staat zieht sich zurück.
Die Abwälzung von bislang staatlich getragenen Kosten auf den Einzelnen hat ja schon 1995 angefangen, als die Pflegeversicherung plötzlich aus der Krankenversicherung herausgenommen wurde, so dass jeder noch einmal einen eigenen Beitrag zahlen musste. Der nächste Schritt war 2001 die Berufsunfähigkeitsrente, mit der es für alle unter 41 Jahre keine Berufsunfähigkeitsrente mehr gibt, sondern nur noch eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf einem Niveau, von dem keiner leben kann. Aber das waren alles Schritte, die sozusagen leise und heimlich gemacht wurden und erst 2002 hat man mit der Riester-Rente offensiv gesagt: Ihr müsst euch selber um die drei Prozent Kürzung kümmern, die müsst ihr privat auffangen. Und das wird in dieser Richtung weitergehen.
Wie viel Eigenverantwortlichkeit verträgt denn der Versicherungswillige?
Die Unzufriedenheit der Menschen mit der zunehmenden Reglementierung des Staates auf der einen Seite und den unsozialen Liberalisierungstendenzen der Wirtschaft auf der anderen lassen zunehmend neue Sozialformen entstehen: Wie etwa die Samarita, eine Solidargemeinschaft im Gesundheitswesen oder den Roland, die Bremer Alternativwährung, wo die Menschen ihre Interessen wieder in die eigenen Hände nehmen.
Erwarten Sie für die Zukunft amerikanische Verhältnisse – also einen Staat, der sich immer weiter aus der sozialen Fürsorge verabschiedet?
Wir leben hier ja in Mitteleuropa und haben traditionell den Sozialgedanken implementiert in all unsere Systeme. So sehr die Politik auch eine Liberalisierung fordert, bin ich fest überzeugt, dass hier in Mitteleuropa bis auf weiteres keine amerikanischen Verhältnisse entstehen werden.
Interview: grä