: Unterm Sandschleier
Nachdem sich Gaddafi zum wachsamen Freund Europas wandelt, wird auch der Tourismus nach Libyen angekurbelt. Doch das Land mit der schönsten Dünenwüste im Maghreb und den vielen antiken Stätten ist noch nicht wirklich einladend für Reisende
VON FRANK SCHLICHTMANN
Als wir am frühen Morgen den Flughafen verlassen, wird uns bewusst, wie nah wir der Sahara sind. Ein leichter Wind hat die Luft mit feinem Wüstenstaub erfüllt, die ganze Stadt Tripolis liegt unter diesem Staubschleier. Ein lächelnder Omar, Touristenbusfahrer, begrüßt uns und begleitet uns zum Kleinbus. Sein Kaftan ist schneeweiß, die Mütze sitzt elegant. Auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel in die Innenstadt von Tripolis hält er einmal an, um sein Morgengebet zu erledigen. Wir sehen seine kniende Figur undeutlich durch den Staubnebel. Die Reise in Libyen beginnt.
Libyen ist ein junges Reiseland. Eine touristische Infrastruktur wie in den Nachbarstaaten Ägypten oder Tunesien fehlt hier und damit die großen Touristenscharen. Dass es trotzdem eines der kommenden Reiseziele sein wird, liegt daran, dass 90 Prozent des Landes, das halb so groß ist wie die EU, von der Sahara bedeckt und der schmale mediterrane Streifen im Norden übersät ist mit unzähligen antiken Stätten aus phönizischer, griechischer und römischer Zeit. Dazu kommt auch, dass der Staatschef Muammar al-Gaddafi, einmal der Inbegriff des Feindes, inzwischen die Achse des Bösen verlassen zu haben scheint. Wo Schröder, Blair und Chirac Geschäfte machen, können auch einfache Touristen wieder hinreisen.
An Gaddafis riesiger Wohnanlage im Herzen von Tripolis vorbei führt die Straße nach Leptis Magna, in römischer Zeit die wichtigste Stadt im afrikanischen Mittelmeerraum. Dass Libyens Pro-Kopf-Einkommen das höchste in Afrika ist, kann man nicht ohne weiteres erraten, die Spuren von Armut und infrastruktureller Desorganisation sind deutlich, wenn man die Stadt verlässt. An den großen Kreuzungen stehen unzählige Tagelöhner und warten auf Arbeit, die Straßenseiten sind kilometerlange Müllhalden, den Häusern fehlt der Anstrich, die Bushaltestellen zerfallen, weil kein Bus mehr kommt. In der klaren mediterranen Luft wirkt alles sehr trostlos, und man fragt sich, warum ein sozialistisches Land, das über das elftgrößte Ölvorkommen der Welt verfügt, nicht in der Lage ist, eine bessere Versorgung für die relativ kleine Bevölkerung von 5,6 Millionen Einwohnern zu gewährleisten.
Die Wehmut, die sich in der 2.000 Jahre alten Ruinenstadt Leptis Magna breit macht, gilt durchaus auch einer gescheiterten linken Utopie aus einem neueren Geschichtsabschnitt. Das trostlose Hotel in Zliten hat einen neuen Anstrich bekommen, immerhin gibt es im Land nicht viele Hotels , und der Staat setzt neuerdings auf Tourismus. In der Cafeteria sitzen schweigende Männer und schauen ägyptische Popsendungen an, in denen leicht bekleidete orientalische Schönheiten auftreten; doch die Männergesichter regen sich nicht. Auch nicht, als einer auf al-Dschasira umschaltet.
Frauen sieht man in solchen Hotels nicht und auch selten anderswo auf den Straßen. Gaddafis angebliche Frauenemanzipation ist völlig gescheitert. Touristinnen in europäischer Kleidung ziehen die Blicke der jungen Männer auf sich. Sie werden angestarrt. Geschichten über westliche Leichtlebigkeit schwappen über die Grenze aus Tunesien und Ägypten, und so es ist auch zunehmend in Libyen für Frauen nicht einfach, sich frei zu fühlen. Ja, die Wüste sei schön, sagt eine deutsche Studentin, aber wenn der Rückspiegel des Fahrers ständig auf einen gerichtet sei, möchte man lieber im Boden versinken, als aus dem Fenster schauen.
Die Wüste ist schön. Von Zliten führt eine breite Straße nach Süden, kaum hat man das unmittelbare Gebiet des Mittelmeers mit den Oliven und Orangenhainen hinter sich gelassen, beginnt eine monotone, menschenleere, ockerfarbene Landschaft. Die Straße ist leer außer dem einen oder anderen Lastwagen, kaum denkbar, dass hier einmal einer der wichtigsten Karawanenwege mit Waren, Edelsteinen, Salz, gar Löwen und anderen afrikanischen Tieren von jenseits der Sahara durchführte. Der Trans-Sahara Karawanenhandel ist spätestens seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts tot, die Dromedare, die von Händlern aus den südlichen Nachbarländern Tschad oder Niger nach Libyen getrieben werden, sind zum Verzehr gedacht, nicht als Lasttiere.
Aus Niger und Tschad und anderen weiter südlich liegenden Ländern kommen auch die Menschen, die sich in den alten Stadtteilen, den Medinas der Wüstenortschaften, angesiedelt haben. Es sind illegale Einwanderer, Wirtschaftsflüchtlinge, die der relative Wohlstand Libyens angezogen hat, aber manch einer ist auf dem Weg nach Europa, denn das Leben hier ist für sie hoffnungsloser, als sie es sich vorgestellt hatten. Dass der Staat es duldete, dass sie in die Lehmhäuser der alten Medinas gezogen sind, liegt daran, dass diese seit Jahrzehnten leer standen, weil die ursprünglichen Bewohner seit den 70er-Jahren in die von Gaddafi erbauten Betonbausiedlungen gezogen waren, wo Wasser, Strom und Fernsehen fließt, der Fluss des jahrhundertalten, traditionellen Lebens aber vollkommen versiegt ist. So sind die Medinas zu traurigen Ruinendörfern geworden, bewohnt von einer verarmten, ängstlichen, rechtlosen Schar Schwarzafrikaner, deren Anzahl keiner wissen will, weil schon eine offizielle Zählung ihnen eine gewisse Legalität verschaffen würde.
Fast 200 Kilometer von der Tschad-Grenze entfernt sitzen zwei Soldaten in einer gottverlassenen Barracke am Rande des Vulkankaters Waw Al Namus und behaupten, sie haben die Grenze im Blick. Wann immer Touristenjeeps gesichtet werden, sind diese Soldaten glücklich, denn dann können sie sich mit den Fahrern austauschen. Die nächste Ortschaft liegt 300 Kilometer entfernt. Nachts am Lagerfeuer werden Geschichten getauscht, die Stimmen der Männer komplementieren sich, und obwohl alle gleichzeitig zu reden scheinen, beschneiden sie sich nicht gegenseitig das Wort. Es wird über die große weite Welt geredet, die Nachbarländer, Europa, Amerika, Asien, über den Zweiten Weltkrieg in der libyschen Wüste und darüber, wie Rommel ums Leben gebracht wurde.
Sie sprechen von dem bevorstehenden WM-Qualifikationsspiel zwischen Libyen und Sudan. Würde Libyen gewinnen, bestünde eine geringe Chance, nach Deutschland zu kommen, und dann würden auch sie gerne mitreisen, um einmal zu sehen, wie die Welt ist, aus der all diese Touristen gekommen sind.
Jetzt sind sie, sagen die Soldaten, seit 71 Tagen hier. Sie sollten nach einem Monat Dienst nach Hause gehen dürfen, doch die Wachablösung sei nicht gekommen. Strom gibt es hier nicht, nur eine Autobatterie für die Funkanlage. Batterien brauchten sie, um das Spiel im Radio verfolgen zu können. Es ist schwer zu glauben, dass diese Soldaten einmal für die Welt eine Gefahr dargestellt haben sollen, wie sie in zerrissener Kleidung und mit antiquarischen Maschinengewehren dastehen und den Touristenjeeps hinterherwinken, die am nächsten Morgen nach einem kurzen Rundgang am Vulkankrater weiterfahren auf der Suche nach Sanddünen, Oasen und Felszeichnungen.
Die nächsten Gruppen werden kommen, wieder wird über Fußballspiele diskutiert, doch nach Deutschland kommen die Soldaten von Waw Al Namus nicht mehr. Libyen hat Unentschieden gespielt und ist nun endgültig aus dem Rennen.