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Archiv-Artikel

„Grundeinkommen für jeden, weltweit“

Der Harvard-Philosoph Philippe van Parijs will das Weltvermögen massiv umverteilen. Am Ende sollen alle diegleichen Chancen haben, ihr Lebensglück zu finden – egal ob arm oder arbeitslos. Zahlen sollen es die Konsumenten

taz: Herr van Parijs, Sie fordern ein Grundeinkommen für alle. Ist das nicht reichlich utopisch?

Philippe van Parijs: Natürlich lässt sich eine derart radikaler Vorschlag nicht von heute auf morgen verwirklichen. Aber im Laufe von zwei Jahrzehnten hat die internationale Debatte darüber beachtliche Dimensionen angenommen. 1985 brachte eine Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Leuven das provozierende Szenario über die Zukunft der Arbeit in die Diskussion. Deren zentrale Idee war ein Basiseinkommen für jeden Bürger und jede Bürgerin ohne Berücksichtigung sonstiger Einkommen. Die Studie wurde mit dem Preis der König-Baudouin-Stiftung ausgezeichnet.

Soll das Grundeinkommen Armut lindern oder jedem größtmögliche Freiheit und Entfaltung ermöglichen?

Das Ziel soll die größtmögliche Freiheit für alle sein und nicht nur das Recht darauf, sondern auch die Möglichkeit dazu geben. Das heißt auch Dinge tun zu können, die keine Erwerbsarbeit sind. Grundeinkommen und Vollbeschäftigung sind kein Widerspruch, sondern komplementär. Grundeinkommen ist ein Mittel, in der Sphäre der Arbeit oder der Nichtarbeit sein Leben zu entwickeln.

Wenn alle ohne Arbeit genug zum Leben haben, wer macht dann die schlechten Jobs?

Ein Grundeinkommen wäre die Möglichkeit, mehr Leuten als heute Erwerbsarbeit zu geben aber auch Wahlfreiheit. Das impliziert, dass schlechter bezahlte Jobs leichter besetzt werden können, zum Beispiel, wenn das mit Bildung verbunden ist. Aber es gibt Jobs, für die es schwieriger sein wird, Leute zu finden. Da gibt es drei Möglichkeiten: erstens mehr bezahlen, zweitens die Qualität der Jobs erhöhen durch mehr Bildung oder bessere Karrierechancen, oder man ersetzt sie durch Automaten. Man könnte die Arbeit auch anders strukturieren, dass solche Jobs verschwinden, weil es sich nicht lohnt, diese Jobs zu behalten, wenn man den Leuten eine echte Wahl gibt.

Gibt es überhaupt genug Vermögen, das umverteilt werden kann?

Darüber darf man nicht statisch denken. Man kann ein Grundeinkommen von 1.000 oder 2.000 Euro geben, muss dabei aber die möglichen Konsequenzen in Rechnung stellen, etwa die Kapitalflucht oder die Abwanderung von Humankapital. Deswegen befürworte ich die graduelle Einführung eines Grundeinkommens, so hoch wie dauerhaft möglich. Dabei ist nicht entscheidend, wie viel Vermögen es gibt.

Sie plädieren ja für die weltweite Einführung eines Grundeinkommens. Wie soll das funktionieren?

Kurzfristig ist es nicht sinnvoll, das einzuführen. Aber das solche Systeme möglich sind, zeigen das Kioto-Protokoll und ähnliche Verträge. Mein Modell sieht etwa so aus: Alle Menschen haben das gleiche Recht, die Atmosphäre zu verschmutzen. Wir können dann sagen, jene, die die Verschmutzung erzeugen, müssen dafür bezahlen, was am Ende immer der Konsument ist. Jetzt gibt es große und kleine Verschmutzer. Die großen sind in der Regel in den reichen Ländern. Deren Konsumenten zahlen für die durch ihren Konsum verursachte Luftverschmutzung einen gerechten Preis. Das Geld wird unter der Menschheit gleich verteilt. Das bedeutet nicht kurzfristig ein universelles Welteinkommen, sondern dass die Länder proportional zur Bevölkerungszahl des Landes einen Teil des Geldes bekommen. Es kann dann bindende Vereinbarungen geben, wie das Geld in jedem Land verteilt werden soll, etwa als eine weltweite Grundrente für alle. Das wäre ein massive Umverteilung auf der Basis des universellen Rechts auf einen gleichen Teil der Natur. Das wäre mein Ansatz und der einzige kurzfristig vielversprechende.

Das einzige Land, wo es ein funktionierendes Grundeinkommen gibt, ist der US-Bundesstaat Alaska, der das aus seinen Öleinnahmen finanziert. Kann man daraus nicht ableiten, dass sich nur reiche, dünn besiedelte Länder so etwas leisten können?

Es gibt die Analogie mit der Atmosphäre. Da geht es nicht um den Rohstoff Öl, sondern um die Aufnahmekapazität der Atmosphäre, auf die niemand größeren Anspruch hat als ein anderer. In Alaska hat man gesagt, jeder Bürger hat ein gleiche Recht auf ein Einkommen aus der Ölproduktion. Die Logik auf Weltniveau ist die gleiche. Es gibt aber auch eine andere Analogie: Warum soll man nur diese Art von Ressourcen umverteilen, die niemand von uns geschaffen hat? Also für das akkumulierte Kapital oder die Technologie, die von vorangegangenen Generationen geschaffen wurden. Wenn man das so sieht, gibt es viel mehrumzuverteilen. Wenn man hohe Einkommen besteuert, ist das die Zahlung für das Recht, diese Ressourcen benutzen zu könne, wie die Ölproduzenten und Konsumenten in Alaska.

INTERVIEW: RALF LEONHARD