: Eher Dekoration als Kunst
SCHÖNER SCHEIN Anselm Reyle, Kunstmarktstar und Hamburger Professor, möbliert eine große Ausstellung mit ziemlich großen, glatten Objekten in den Deichtorhallen – und mit Müll. Aber mehr auch nicht
Wie eine Vorwarnung stammt das Kassenhäuschen dieser Ausstellung aus dem Spreepark, einem verlassenen Vergnügungspark in Berlin-Treptow. Dann geht es vorbei an allerlei sorgsam arrangiertem Abfall aus dem Atelier von Anselm Reyle und seinem Produktionsteam, bevor hinter der ersten Raumtrennung die edel glänzende Groß-Kunst zur Wirkung kommt: Kunstvoll zerknautschte Silberfolie in metergroßen, farbig eingefärbten Acrylglaskästen in magenta, anthrazit und blau.
Es geht um High und Low
Anselm Reyle ist ein Star des Kunstmarkts, seit 2009 auch Professor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Ihm geht es um den Zusammenhang und die gegenseitige Abspiegelung von Trivial und Hochkunst, von High und Low. Wie das mit xfachen Umdrehungen funktioniert, wird klar an „Eternity“, einer türkis-metallic glänzenden Figuration aus der Serie der „afrikanischen Skulpturen“.
Anlass für dieses Zwei-Meter-Monstrum sind einst von kolonialen Kunstlehrern inspirierte kleine Seifenstein-Plastiken, bei denen afrikanische Kunsthandwerker für den Verkauf an Touristen die abstrakte Formensprache der späten europäischen Moderne mit ihrer eigenen kombiniert haben. Reyle ließ diese Airport-Art von einem Industriebauer vergrößert nachbauen, in Bronze gießen und mit einem makellos spiegelnden farbigen Überzug versehen. Dazu steht das Ganze noch auf einem Sockel, verkleidet mit Resopal, das edles Holz imitiert. Und das hinter einem weißlackierten Zäunchen, das den nötigen Abstand garantiert. So viel Aufwand, so viel Fake, so viele Arbeitsschritte, die den vorherigen wieder auslöschen, das ist theoretisch schon beeindruckend. Und doch ist das kurze, staunende Lächeln, das diese Arbeit erzeugt, sehr teuer erkauft. Wie bei Jeff Koons und seinem riesenhaften, perfekt gestalteten amerikanischen Kitsch: Abgesehen vom drastisch erhöhten Kunstmarktwert hat das Objekt keine wesentlich neue Bedeutung. Vielleicht kommt man dieser Art Kunst näher, wenn man sie sozusagen aus der Verantwortung entlässt, Kunst zu sein, und einfach als Ornament und Design betrachtet.
Reyles gestaltender Umgang mit dem durchaus schwierig zu bespielenden Großraum der Deichtorhalle ist recht überzeugend: Mit eben derselben Spiegelfolie, die sonst in seinen edlen Kästen eingesperrt ist, hat er den ganzen Raum in einen hellen Tageslichtraum und einen dunklen Part geteilt. Dort befinden sich Collagen aus buntem Neonabfall, LED-hinterleuchtete Eisenelemente und ein leuchtfarbengelb gestrichener alter Heuwagen, der in jeder Galerie verwirrend wäre, hier aber unter Schwarzlicht gut aufgehoben ist. Irgendwie fehlt Musik, denn das ganze Arrangement würde als Design einer ländlichen Großdiskothek richtig gut abgehen.
Sämtliche von Anselm Reyle in den über achtzig Arbeiten herbeizitierten Dinge und gefundenen Formen sind ja abgesehen von der Präsentation in einem Ausstellungshaus nicht neu, sondern eher in ihrer frühen Funktion so zu Ornamenten geleert, dass die Besucher selbst einen neuen Sinn dazu erfinden müssen. Befindet man sich zwischen zwei mit Leuchtfarbe gestrichenen Wänden, klärt ein Wandtext auf, nun sei man in ein in den Raum erweitertes Colour-Field-Painting eingetreten. Das ist ein kluger kunsthistorischer Verweis, aber eben auch – eher negativ formuliert – sehr ausgeklügelt. Denn mit solch einer Wahrnehmungsfähigkeit ausgestattet, könnte man sich über jede beliebige, frisch gestrichene Wand freuen. Fazit: Eine wunderschöne Ausstellung. Aber völlig belanglos. HAJO SCHIFF
„Mystic Silver“: bis 27. Januar, Hamburg, Deichtorhallen