: Anhaltende Verachtung
Geschichte Eine antislawische und antiasiatische Mentalität war ein Baustein der NS-Ideologie, mit dem die junge Bundesrepublik im Kalten Krieg weiter operierte. Ein Vortragsabend mit den Historikern Axel Schildt und Peter Steinbach in Berlin
von Jan Feddersen
Es muss kein Zeichen von Desinteresse sein, wenn zu einem Vortrag mit dem Titel „Antikommunismus und die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg in der frühen Bundesrepublik“ im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin kaum mehr als drei Handvoll Menschen kommen, um sich vom Hamburger Historiker Axel Schildt kundig ins Bild setzen lassen. Das Thema ist ja nicht so fern, als dass eine Lecture, die viel zur Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen hat, als abwegig empfunden werden könnte. Doch die irgendwie alles absorbierende Fußballstimmung ist schon ein Konkurrent.
Dabei geht es um eine bundesdeutsche Geschichte, die bis heute wirkt. Denn die Hauptstadt mag inzwischen einige erinnerungspolitische Orte parat halten – zum Mord an den europäischen Juden, zur nazistischen Mordpolitik wider die Roma und Sinti, zur Verfolgung Homosexueller etwa. Aber nichts, das ein „Gedenkort für die Opfer der NS-Lebensraumpolitik“ wäre.
Der Historiker Peter Jahn als erster Promotor dieser Initiative, so formulierte er es zu Beginn der Veranstaltung, findet das ungerecht (siehe oben). Und das ist es auch: Der Kern nationalsozialistischer Politik war konstitutiv antijüdisch, und dieser war um die militärisch-auslöschende Fantasie der Eroberung Osteuropas, vor allem der Sowjetunion, herum gestrickt. Das Antislawische und Antiasiatische, so Axel Schildt, so ergänzte es später auch Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, gehörte zu dieser Politik dazu – ausweislich der NS-Propagandaplakate, die während des Vortrags eingeblendet wurden.
Schildt, Leiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte an der Uni Hamburg, ist ausgewiesener Kenner der bundesdeutschen Historie. Seine These, sein Befund, knapp zusammengefasst: Es ist eine Mär, heute zu behaupten, im Kalten Krieg sei es um die Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Kommunismus gegangen. Die öffentlichen Diskurse drehten sich vielmehr um die begriffliche Zuspitzung „Freiheit gegen Bolschewismus“. Und diese Formel sei weitgehend identisch mit jener gewesen, der sich auch die Nazis in ihrem Kampf gegen das Slawische, gegen die Sowjetunion bedient hätten. Freiheit gegen Bolschewismus – in dieser Chiffre spräche auch die Verachtung für die Menschen in den Ländern jenseits des Deutschen Reiches, sie wurden als „Untermenschen“ verstanden.
Das sei, so Schildt, damals, aus bundesdeutscher Perspektive, keine politische Kritik an der Sowjetunion als demokratiefeindliches Land gewesen. Sondern eine, ohne dass er dieses Wort benutzte, üble Hetze gegen die sowjetische Bevölkerung gewesen, gegen Menschen, die sich gegen die auf Auslöschung und Versklavung geeichte Wehrmacht verteidigt hatten. Es war ja auch tatsächlich nicht um Demokratie gegangen während des Kalten Kriegs, jedenfalls nicht zuvörderst. Sondern, alte Naziformel, um das, was sie unter Freiheit verstanden. Und die war keineswegs demokratisch gesinnt. Der sogenannte Westen nach 1945 – inklusive der Bundesrepublik – habe auf Rechtsdiktatoren wie den portugiesischen Salazar und den spanischen Franco gesetzt.
Ein starker Verdacht
Beide Historiker waren sich einig in der Einschätzung, wie im bundesdeutschen Nachkriegsdiskurs die militärischen Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad behandelt wurde: Bilder der Erinnerungen, die darauf spekulierten, dort recht eigentlich Opfer geworden zu sein. Leningrad aber, die Stadt, die die Wehrmacht buchstäblich mit Tausenden von Toten aushungerte, fand noch viele Jahre nach 1945 so gut wie keine Erwähnung. Millionen Menschen fielen dem Nazikrieg gegen die „Untermenschen“ zum Opfer, und keine Vergangenheitspolitik, weder der jüngeren noch der älteren bundesdeutschen Zeit, hat ihnen ein Denkmal gesetzt.
Die schlimmsten Jahre wider den „Bolschewismus“ (und man lese: Antislawismus) waren, nach dem Nationalsozialismus, die frühen Fünfziger. Es sind auch jene Jahre, in denen unter Führung von CDU/CSU und FDP ein antikommunistisches, faktisch NS-getränktes Regime am Leben erhalten wurde. Dass ein Erinnerungsort für die durch die Wehrmacht und ihrer Helfer*innen Ermordeten noch fehlt, nährt den starken Verdacht, dass die alten Vorstellungen von „russischer“ Untermenschenhaftigkeit noch lebendig sind.
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