: Im Trainingslager
REZEPTIONSARBEIT Das Symposium „Musealisierung als Zivilisationsstrategie“ in der Temporären Kunsthalle
Für die einen ist es der Besuch eines kunsttheoretischen Symposiums – für die anderen Erwerbsarbeit. Wer am Dienstag die temporäre Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz als einer von 200 honorierten ZuhörerInnen betritt, bekommt eine Stechkarte, die gestempelt wird. Erst nach mindestens acht Stunden „Rezeptionsarbeit“, so lautet die auf Merkzetteln verteilte Regel, gibt es einen weiteren Stempel, 25 Euro Lohn an der Kasse und den Titel „Diplom-Rezipient“. Wer das „Fünfte Memorial Musealisierung als Zivilisationsstrategie“ als nichthonorierte „Laufkundschaft“ besucht, darf einfach so in der Halle Platz nehmen, muss aber auch arbeiten. Schließlich gilt es, unter Zuhilfenahme eines Readers und sämtlicher Sinne, 12 Stunden lang rund 20 ReferentInnen zu folgen. Allen voran dem Mastermind und Conferencier Bazon Brock, der einen atemlosen Mix aus Vortrag, Performance, Streitgespräch, Audio- und Videoschnipseln punktet.
Europas künftige Rolle in der „Totalglobalisierung“, so Brocks steile Eingangsthese, werde die eines „living museum“ sein. Um Millionen chinesischer, indischer und arabischer Touristen als interessantes Ferienerlebnis dienen zu können, müssten wir uns beizeiten musealisieren. Brock untermalt seinen Vortrag mit „musealisierten“ Geräuschen: Das Rattern von Eisenbahnschienen, das Tuten eines Nebelhorns. Wer nach dieser Einleitung eine launig-ironische Performance erwartete, sah sich zumindest in Teilen getäuscht. Denn der Wuppertaler Ästhetikprofessor Bazon Brock begreift das Symposium als Trainingslager der Demokratie.
Auf der theoretischen Ebene führt er das Konzept der Musealisierung ein: Als effektive Befriedungsstrategie diene es der Zivilisierung von Kulturen und sichere das Überleben der Demokratie – auch dann, wenn es von keineswegs lupenreinen Demokraten stammt. Brocks Vorbild ist Atatürk und sein Entschluss, am 24. November 1934 das Istanbuler Gotteshaus Hagia Sofia in ein Museum umzuwandeln und so religiöse Streitigkeiten zu beenden. „Musealisiert euch!“ lautet die Aufforderung ans Publikum. Damit ist aber auch gemeint: „Bildet euch!“ Denn Demokratie braucht keine passiven Konsumenten, sondern mündige Bürger. Das ist Brocks praktischer Ansatz, den er erstmals durch seine „Besucherschule“ auf der Documenta 1968 umsetzte. Auf dem Schlossplatz funktionierte das so: Gleichgesinnte wie der per Audiobotschaft anwesende Peter Sloterdijk oder der ZKM-Präsident Weibel fordern eine Rückkehr zum Bildungsbürgertum. Das Publikum verließ dann als „Diplom-Zuhörer“ die Halle. Für manchen endete der Bildungsweg aber bereits beim „musealisierten Essen“ im Café, das auch ohne Überbau auf der Speisekarte anstandslos zu konsumieren war. NINA APIN