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Da steh ich nun vor diesem Tor

MusicalDie schräge Gala „Der Spielmacher“ am HAU 2 feiert den Fußball

Das Spielfeld, das die Welt bedeutet, ist im Hebbel am Ufer mit türkis-pinkem Kunstrasen ausgelegt. Ein kleines Stadion haben sie errichtet im HAU 2; hier spielt das Sensationsteam von Bussard Berlin, das es als Drittligist bis ins Viertelfinale des DFB-Pokals geschafft hat und zudem vor dem Aufstieg steht. Dank Star Mehmet (Eva Löbau), dank eines Mentalcoachs (Verena Unbehaun), der tief in die Spieler hineinhorcht und sie genauso tief ein- und ausatmen lässt, dank eines rigide regierenden Präsidenten (Vivien Mahler) – und natürlich dank eines „grasophilen“ Platzwarts, der weiß, wie er seinen Allerliebsten zu behandeln hat (auf dem Rasenmäher: Christiane Rösinger).

„Der Spielmacher“ heißt das „Fussical“, also das Fußball-Musical, das am EM-freien Freitagabend Premiere hatte und das Musiker und Labelbetreiber Maurice Summen und Theaterregisseur Patrick Wengenroth gemeinsam konzipiert haben.

Der fiktive Berliner Erfolgsklub ist ein popkulturelles Allstar-Team: Neben Rösinger sind noch Andreas Spechtl (Ja, Panik), Jens Friebe, Chris Imler und Die Türen an Schauspiel und Live-Soundtrack beteiligt – sie alle sind gekleidet in feinste grüne 70er-Jahre-Trainingsanzüge mit Bussard Berlin-Logo.

Erzählt wird die Story von Star Mehmet, der sich in Mitspieler Andrea Picchio (gespielt von Andreas Spechtl, namentliche Ähnlichkeiten mit Italiens Grand Seigneur Andrea Pirlo sind rein zufällig) verliebt und der zwischenzeitlich dem Burnout nah ist. Zugleich wird ein Scheich auf Bussard Berlin aufmerksam – er will den Klub kaufen und exportieren.

Handlungsnebenstränge: Fehltritte eines korrupten Klubpräsidenten, medizinische Versorgung der Spieler mit einem Präparat namens Pervertin; und zwischendurch erklärt ein Philosoph von den der Tribüne aus mittels Rousseau, wie wir das Geschehen auf und neben dem Rasen zu interpretieren hätten.

Das Spiel, das hier 120 Minuten hat, ist vollgepackt mit Diskursen: Homophobie, Doping, Korruption, Leistungsdruck, Exzesskapitalismus im Fußball, mittendrin gibt es noch Medienirrsinn. Das klingt fast, als könne man damit nur scheitern. Dass dies nicht passiert, liegt daran, dass sich das Ensemble auf dem schmalen Grat zwischen skurrilem Humor und Kritik stilsicher bewegt.

Chris Imlers Song „Fan ist ein Stahlbad“, eine feine Volte, steht da pars pro toto für das gesamte Stück. Der Platzwart singt ein Liebeslied für seinen Rasen („Mein Platz“) und kritisiert nebenbei, dass der Fußball „weiß, männlich, heterosexuell“ ist, was in „Der Spielmacher“ auch durch die Besetzung mit Frauen konterkariert wird. Chris Imler gibt gegen Ende den Scheich und rappt in Drake-Manier – und selbst das artet nicht in Klamauk aus, oder, falls doch, in guten Klamauk.

Schließlich wäre da noch die brillierende Hauptdarstellerin Eva Löbau, die als Mehmet unter anderem ein Spielfeldrandinterview gibt, das alle Spielfeldrandinterviews dieser Welt schlägt. Die schlägt rezitierend den Bogen zu Faust („Da steh ich nun vor diesem Tor/ und bin so klug wie vor zwei Stunden, um es aufzurunden“).

„Der Spielmacher“ gelingt wohl gerade deshalb, weil die Story allzu offensichtlich gestrickt ist. So gerät der Abend zu einer überdreht-schrägen Gala, die das Spiel in all seiner Schönheit und all seiner Hässlichkeit feiert. Wenn man das mal so dialektisch sagen darf. Jens Uthoff

Der Spielmacher, HAU 2, Hallesches Ufer 32, Montag, 27. 6., 21 Uhr; Dienstag 28. 6., 20 Uhr

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