der rote faden
: Christian Kern, Donald Trump und Bernie Sanders

nächste wochenINA APIN Foto: David Oliveira

durch die woche mit

Barbara Junge

Der österreichische Kanzler spricht auf einem Gay-Pride. Und dabei sieht der Mann auch noch sympathisch aus. „Mein Name ist Christian Kern“, hat er in Wien gesagt. Er sei da „um mit euch für Toleranz und Vielfalt einzutreten“. Na gut, irgendwann wird sich hoffentlich auch durchsetzen, dass es um Akzeptanz geht. Aber es ist ein guter Anfang; politisch gesehen und in die Woche.

Aber da ist die tote Labour-Politikerin Jo Cox. Ihr Tod bewegt. In der Brexit-Kampagne wurde echter Hass an die Oberfläche gespült. Und ob Kern ohne die Tat von Orlando auf die Bühne gestiegen wäre?

Gay Pride

„Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann“ (Albert Einstein). Bei Bernie Sanders nur unter großen Mühen. Der Überfall auf das Pulse, die LGBT-Bar in Orlando, hat den einen Teil der Vereinigten Staaten in eine Schockstarre versetzt. Wie ein zweiter Schock hat es gewirkt, als Donald Trump das Attentat für seine Hetze ausgeschlachtet hat.

Für Bernie Sanders hat 49-faches Morden nicht gereicht, um daraus die Konsequenz zu ziehen: dass er seinen revolutionären Kreuzzug gegen Hillary Clinton und die Wall Street aufgibt. Um den Weg dafür frei zu machen, gemeinsam gegen einen wild gewordenen Rassisten zu kämpfen, der mit diktatorischen Befugnissen im Weißen Haus agieren möchte. Für einen Moment sah es so aus. Sanders sagte viel, dass sich deuten ließ.

Aber dann tat er kund, er sei noch nicht dazu bereit, Hillary zu unterstützen. Was braucht der Mann denn noch?, habe ich mich gefragt. Manche hofften auf einen Geheimplan. Der Plan ging so: Bernie hält seine Anhänger bis zu den „Conventions“ genannten Krönungsmessen der Kandidatin in einem Zustand der Erregung. Und ist Clinton einmal nominiert, liegt die Energie für einen wilden gemeinsamen Wahlkampf in der Luft. Es waren nicht so viele, die darauf setzten.

Hillary Clinton

Empirisch spricht auch einiges dagegen, dass sich alle Sanders-Anhänger noch umdrehen lassen. Manchmal ist es ein Drittel, in anderen Umfragen sogar die Hälfte der Anhänger von Bernie Sanders, die sagen, sie würden Clinton nicht unterstützen; auch nicht gegen Trump. Bei 40 Prozent liegt gerade die Quote.

Vielleicht hatte er bislang nicht daran geglaubt: dass die Leute auch bei einer Abstimmung dem rechten Populisten folgen. Der Brexit hat Sanders aufgeweckt. Auf die Frage, ob er der voraussichtlichen demokratischen Präsidentschaftskandidatin seine Stimme geben werde, antwortete er im Fernsehsender MSNBC mit einem schlichten Ja.

Meinst du wirklich, dass Trump Präsident werden könnte?, werde ich viel gefragt. Ja, das meine ich.

Lob des Brexit

Meinst du wirklich, dass die Briten austreten?, wurde ich diese Woche oft gefragt. Ja, meinte ich.

Mit der Entscheidung für einen Brexit hätten sich die Briten ihre Unabhängigkeit zurückgeholt, sagte Trump am Freitag im europafreundlichen Schottland. Zuvor schrieb er auf Facebook, auch die US-Bürger hätten bei der Präsidentenwahl am 8. November die Chance, erneut ihre Unabhängigkeit zu erklären. Eine von ihm geführte US-Regierung werde die Verbindungen zu einem unabhängigen Großbritannien verstärken. Das werde die Welt sicherer machen.

EM-Fanmeile

Mario Gómez hat wieder die Herzen gewonnen. Und Spanien ist trotz der Niederlage gegen Kroatien im Achtelfinale. Der Rest macht wenig Spaß. Spaß scheint gesamtgesellschaftlich derzeit keine Kategorie zu sein. Nicht einmal vernünftige EM-Stimmung jenseits der großen Fanmeile ist bislang aufgekommen. Meine Kneipen am Mauerpark in Berlin sind unterbesucht.

In Großbritannien hassen 51 Prozent der Menschen die Idee von Europa. Von denen hasst auch ein guter Teil die anderen 49 Prozent ihrer Landsleute. In den USA hassen zig Millionen ihr politisches System ­genug, um das eigene Schicksal in die Hände eines völlig un­berechenbaren Mannes zu legen. Dass viele von ihnen Schwule oder Transmenschen hassen, muslimische Einwanderer oder Intellektuelle, ist eingepreist.

Jetzt sind sie ausgetreten. Und das nicht, weil das Projekt Europäische Union so viele Fehler hat. Dem ist ohne Zweifel so, und es wird auch von links kritisiert. Der Resonanzraum der Brexit-Kampagne war jedoch das Emotionale, das Irrationale. Nützt es etwas, dass Christian Kern optimistisch lächeln kann und so prominent für jene Gesellschaft eintritt, die so viele von uns nicht in die Regie von nationalistisch denkenden Populisten übergeben wollen? Mit guten Argumenten ist derzeit wenig auszurichten. Seine Präsenz hatte eine gute, eine emotionale Ausstrahlung.