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Archiv-Artikel

Tiertherapeutin tauscht Wohnung mit Eisbär

SCHAUSPIEL Vom Fortschrittsglauben und dem Analogen handelt Moritz Rinkes neue Komödie

Zwei Paare aufeinander loszulassen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich auf die Nerven und an die Wäsche gehen, gehört zu den klassischen Bühnenarrangements. Alkohol dient dabei als bewährter Durchlauferhitzer, der Unschönes zuverlässig hochkocht. Ob bei Edward Albee, Yasmina Reza oder Roland Schimmelpfennig: Das bürgerliche Paarungsverhalten akademischer Großstädter in der Lebensmitte unterhält ein ebensolches Publikum.

Moritz Rinke, um den es auf dem Theater leider still geworden war, schubst in seinem neuesten Stück mit dem schönen Titel „Wir lieben und wissen nichts“ zwei Paare wie Labormäuse umher und schaut ihnen beim Vermehren ihrer Ängste und Sehnsüchte zu. Als Käfig dient ihm die Wohnung von Hannah und ihrem Langzeitfreund Sebastian. Sie lehrt Banker für teures Geld das richtige Atmen, während er, der Kunsthistoriker und freie Autor, sein Leben freischaffend verlümmelt. Ein Woody-Allen-hafter Spinner, der fremde Menschen ebenso enervierend findet wie Spam-Mails.

Sebastian markiert das zerzauste Zentrum des Stücks, und Marc Oliver Schulze spielt ihn in Frankfurt hingebungsvoll als bebrillten Bücherwurm, der sich in sein Wissen zurückzieht wie in eine Festung. Da seine Freundin Hannah beruflich nach Zürich muss, haben sie einen Wohnungstausch arrangiert. Das tauschwillige Paar steht jetzt allerdings zu früh vor der Tür, und die Eheschlacht beginnt.

Versuchslabor Beziehung

In den Frankfurter Kammerspielen blicken wir auf eine halbwegs gefüllte Bücherwand, Teppichboden liegt wie ein Laufsteg aus, eine Lampe hängt teilnahmslos von der Decke und nur ein einziger Stuhl steht parat. Wir sind im Wohnzimmer, das von Sebastian als Bewusstseinsraum genutzt wird. Jetzt steht Roman Hansen aus Zürich, ein Computerheini unter Dauerstrom, dort herum wie Falschgeld. Ein Klotz, der die Finger nicht stillhält und mental immerzu online bleibt.

Seine Frau entpuppt sich als naive Tiertherapeutin, die sich dem Gestern hingibt wie einem Schaumbad und sich an diesem Abend herrlich betrinken wird. Kurz bevor die Hansens klingeln, entscheidet Sebastian, dass er eigentlich doch nicht nach Zürich möchte, und schon schichtet sich ein Ärgernis aufs nächste.

Dabei implantiert Rinke in seine männlichen Protagonisten zwei Haltungen, die unsere Gegenwart zerreißen: der Fortschrittsglaube mit fasziniertem Blick nach vorn und das altmodisch Analoge, das sich gemütlich der Zukunft verweigert. Wenn Oliver Kraushaar als Roman über die Frage nach dem Kennwort für den Server schier den penibel gescheitelten Kopf verliert, während sich Hannah und Sebastian nicht so ganz sicher sind, was genau ein Router überhaupt leistet, prallen diese zwei Mentalitäten zum Totlachen aufeinander.

Alltägliche Schieflage

Dabei ist das Stück, das nicht wahnsinnig tief, aber an den richtigen Stellen schürft, nicht nur zeitdiagnostisch bedenkenswert, sondern auch paartherapeutisch. Rinkes Männer kreisen vornehmlich um ihren beruflichen Kram, während die Frauen auch familiären Interessen folgen.

Der Frankfurter Intendant Oliver Reese inszeniert die Uraufführung des Paargestöbers als beschwingte Boulevardkomödie mit wehmütig versponnenem Schlussakkord, zu dem zwei Eisbären umwerfend unverständige Blicke ins Publikum schießen. Seine Paare besetzt er mit Schauspielern, die auch im wirklichen Leben Paare sind. Wenn man es nicht wüsste, hätte man es freilich nicht gemerkt.

Constanze Becker schlüpft dabei in die Rolle der tapsigen Magdalena. Und je mehr sie an diesem Abend in sich hineinschüttet, umso mehr kommt sie aus sich heraus und desto gummiartiger und x-beiniger bewegt sie sich, gerät in Schieflage, ringt um Haltung und nölt Sätze, die man auf Tonband haben möchte. Besoffen stürzt sie sich schließlich auf den Denker Sebastian, der damit eindeutig zu viel Weib auf sich zukommen sieht. Claude de Demo als seine Freundin Hannah zeigt sich da weniger angespannt und hängt sich an Roman wie an einen Anker.

Zwei Stunden lang schaukelt sich das Quartett hoch, und eine Nacht verstreicht, ehe es endgültig auseinandergeht. Rinkes pointengespicktes Drama, das in Bälde landauf, landab gespielt werden wird, präsentiert uns exemplarisch verlorene Paare, die sich ausdauernd selbst erschöpfen: lachhaft traurige Existenzen auf der Suche nach dem Kennwort für ein gelingendes Leben. SHIRIN SOJITRAWALLA