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Archiv-Artikel

Unkonform und einflussreich

Die Umweltbewegung brauchte Fachwissen – aus diesem Grund wurde 1977 das Öko-Institut in Freiburg gegründet. Der Kampf gegen das AKW Wyhl hatte deutlich gemacht, dass in einer technisierten Welt nur erfolgreich mitreden kann, wer auch über Sachkompetenzen verfügt.

Diesen Anspruch verkörpert Michael Sailer wie kaum ein anderer. Gestern wurde der 56-Jährige als Nachfolger von Joachim Lohse und damit neuer Geschäftsführer des Öko-Instituts benannt. Einer der bekanntesten Köpfe des Instituts rückt damit an dessen Spitze. Chemie-Ingenieur Sailer hatte in den Achtzigern das Darmstädter Büro des Instituts aufgebaut, für das er schon während seines Studiums arbeitete, und sich bald bundesweit als Atomexperte profiliert.

Seine hohe Sachkompetenz und seine nüchterne Analyse in kerntechnischen Fragen mussten bald sogar seine Gegenspieler in der Atomwirtschaft anerkennen. Denn Sailer nimmt sich die Freiheit für ein eigenes Urteil, auch wenn es nicht auf Zustimmung bei seinen Weggefährten stößt. So verärgerte er die Antiatomszene, als er Castor-Blockaden als untaugliche Mittel des Widerstands bezeichnete.

Diese professionelle Unbefangenheit machte Sailer zu einem gefragten Gutachter und Sachverständigen in Fragen der Sicherheit von Atomanlagen und der Endlagerung radioaktiver Abfälle. Im Jahre 1999 berief das Umweltministerium ihn in die Reaktorsicherheitskommission, die er von 2002 bis 2006 sogar leitete. Seit 2008 ist er zudem Vorsitzender der Entsorgungskommission, eines Beratergremiums des Umweltministeriums. Der Wissenschaftler, der seine Unkonformität mit seinen langen Haaren auch nach außen trägt, ist damit einer der einflussreichsten Atomkritiker Deutschlands. Für das Öko-Institut dürften nun aber noch ganz andere Kompetenzen von Interesse sein: Er arbeitet auch im Konfliktmanagement und als Mediator. Hausinterne Differenzen über die zukünftige Strategie der Einrichtung, die mit dem Weggang des letzten Geschäftsführers offenbar wurden, gilt es nun zu lösen. Vertreter des Instituts hoben daher gestern auch seine „hervorragenden Kommunikationsfähigkeiten“ hervor.

BERNWARD JANZING