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Archiv-Artikel

Union im Hintertreffen

VON LUKAS WALLRAFF

Die Union hat heute Nachmittag ein Auswärtsspiel. Zur ersten Runde der Koalitionsverhandlungen mit der SPD müssen die CDU-Chefin Angela Merkel und ihre fünfzehn Delegationsmitglieder im Willy-Brandt-Haus antreten, also in der „gegnerischen“ Parteizentrale. Doch das ist noch das geringste Problem für die designierte Kanzlerin. Den Heimvorteil wird sie der SPD schon beim nächsten Treffen am Freitag abnehmen, das in ihrem Konrad-Adenauer-Haus stattfindet.

Schwerer wird es sein, den strategischen Rückstand aufzuholen. Die Sozialdemokraten waren nicht nur mit der Aufstellung ihrer Regierungsmannschaft schneller. Sie haben diesen Vorsprung auch genutzt, um politisch Pflöcke einzurammen: von Atomausstieg bis Zinsen. Während die Union am Wochenende immer noch damit beschäftigt war, ihre Kabinettsposten untereinander aufzuteilen, tat der designierte SPD-Finanzminister Peer Steinbrück so, als würde er bereits regieren: „Weitere Steuersenkungen sind völlig unrealistisch“, dekretierte Steinbrück – und erklärte damit entsprechende Versprechungen Merkels zur Illusion. Sigmar Gabriel, von der SPD für das Umweltministerium vorgesehen, erteilte Merkels Plänen, die Laufzeit für Atomkraftwerke zu verlängern, eine kategorische Absage: „Das wird es mit der SPD nicht geben.“ Widerspruch aus der Union? Jeweils kaum zu hören.

So geht das nun seit Wochen. Das ursprüngliche Reformprogramm der Union, das Merkel im Wahlkampf vertreten hatte, scheint sich in Luft aufzulösen. Das liegt zum einen an der SPD, die sich schneller als erwartet von Gerhard Schröder befreit hat und geschlossener als erwartet auftritt, aber auch an Merkel selbst. Seit der Wahl wirkte sie nur im Kampf um die K-Frage durchsetzungsstark, programmatisch aber schüchtern. Was sie als Regierungschefin zu bewerkstelligen gedenkt, blieb bisher völlig offen. Während Merkel luftig von einer „Koalition der neuen Möglichkeiten“ sprach, ohne auch nur eine dieser Möglichkeiten auszuformulieren, räumten neben SPD-Politikern auch eigene Parteifreunde einen CDU-Programmpunkt nach dem anderen mit Vergnügen weg:

– Kopfpauschale im Gesundheitswesen: schon Stunden nach der Wahl von CSU-Chef Edmund Stoiber ad acta gelegt.

– Änderungen im Tarifrecht: werden auch nicht kommen, versprach Roland Koch (CDU) DGB-Chef Michael Sommer.

– Und auf die im Wahlprogramm geplante Besteuerung von Nacht- und Schichtarbeitszuschlägen verzichtete Merkel bereits selbst: In einer ersten schriftlichen Vorfestlegung für die Koalitionsverhandlungen.

Kein Wunder, dass vor allem im wirtschaftsliberalen Flügel der Union viele unzufrieden sind, weil ihnen der Preis zu hoch erscheint, den Merkel für ihre Kanzlerschaft zu zahlen bereit ist. Dieser Eindruck hat sich durch die Ressortverteilung noch verstärkt, bei der die Union auf die wichtigen, reformträchtigen Ministerien für Arbeit, Gesundheit und Finanzen zugunsten von Sozialdemokraten verzichtete. „Wir müssen aufpassen, dass wir am Ende nicht eine sozialdemokratische Regierung unter einer Kanzlerin Angela Merkel bekommen“, warnte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach.

Merkel scheint wieder einmal auf Zeit zu setzen. „Ich möchte nicht, dass wir in den vier Wochen der Koalitionsverhandlungen so tun, als könnten wir alles wissen und alles vorausplanen“, erklärte sie im Spiegel. Das klingt unambitioniert, doch dahinter verbirgt sich durchaus eine Strategie. Merkel ist bereit, erst einmal auf radikale Reformen zu verzichten. Dass dies als Niederlage verbucht wird, kalkuliert sie ein. Ihr geht es darum, heißt es aus Merkels Umfeld, „langfristige Ziele festzuschreiben“, wie die deutliche Senkung der Lohnnebenkosten. Um diese zu erfüllen, müsse dann auch die SPD Merkels Reformideen zustimmen. Irgendwann. Vielleicht.