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Archiv-Artikel

Als Anhalter durch die Galaxis

Heribert Zimmermann aus Aachen ist Propagandist fürs Trampen. Das Mitfahren sei eine hoch kommunikative Angelegenheit und gut für die Umwelt. Früher kommunizierte der Unruhestifter vor allem mit der Justiz – über so genannte Sozialkunstwerke

Boris Becker, Jan Philipp Reemtsma – Zimmermanns Hobby sind Promi-Prozesse

AUS AACHEN MICHAEL KLARMANN

Es klingt wie die Werbung für ein alternatives Reisebüro: „Ökologisch reisen und kommunikativ“. Heribert Zimmermann aber spricht lieber von „Guerilla-Marketing“ in eigener Sache. Er will Menschen wieder dazu bewegen, mehr zu trampen. Sein Slogan schmückt die 18 „Fahrtenbücher“, in denen jede seiner Trampreisen – auch per Zug – akribisch aufgelistet ist. 1.003 Touren sind es derzeit, 322.914 Kilometer hat er zurückgelegt und dabei, wie er glaubt, gut 51.000 Euro eingespart. „Was könnte man sparen“, schwärmt der 59-Jährige, „wenn das mehr machen würden.“

Seit fünf Jahren ist der Aachener mit dem schütteren Haar und grauen Bart nun in seiner Mission unterwegs. Meist spricht Zimmermann die Autofahrer an Tankstellen oder auf Rasthöfen an, und das so, dass sie ihn selbst bei Vorbehalten gegen Tramper interessant finden und ihn meist mitfahren lassen.

Interesse weckt er auch mit seinen Schildern, mit denen er an Autobahnauffahrten steht. Will er etwa nach Schweinfurt, signalisiert er das mittels Schweinskopf und der Silbe „-furt“. Eines seiner rund 40 Schilder trägt ein rotes Herz und den Spruch „Zu Monika“ – „eine Ex-Freundin“, sagt der 59-Jährige. Auch Schilder mit der Aufschrift „Japan“, „Zum Mond“, „Nordpol“ oder schlicht „Kommunikativ“ hat Zimmermann dabei.

„Die Leute sind nicht mehr kommunikativ genug. In Zeiten des Versinglens gehe ich auf sie zu“, sagt der Mann, der seit langem auch unter dem Künstlernamen „Keulenspiegel“ firmiert. Seit Mitte der 90er Jahre ist er ohne Job, das Trampen macht ihn zum Hobby-Buchhalter. Denn er wertet Zahlenkolonnen und Statistiken über seine „Kreativreisen“ aus und füllt die „Fahrtenbücher“ mit Anekdoten und Notizen über Erlebtes.

Visitenkarten seiner „Gastgeber“ hat er eingeklebt, andere haben sich selbst verewigt. So wie die 34-Jährige, die mit ihrem Filius am 7. Februar 2004 unterwegs war und Zimmermann auf dessen Reise Nr. 694 als „Gastgeber“ Nr. 3.287 mitnahm. „Habe nach langer Zeit mal wieder einen Tramper mitgenommen“, hat sie eingetragen. „Die Fahrt ist nun nicht mehr durch Musik gesteuert, sondern durch eine interessante Unterhaltung mit einem interessanten Beifahrer. Vielen Dank für die Begegnung.“

Zimmermann sagt, inzwischen gebe es „Gastgeber“, die anriefen, wenn sie unterwegs seien. Sie erkundigten sich, ob er in dieselbe Richtung müsse. Auch neue Freundschaften seien entstanden auf den „Abenteuerreisen“. Ob aus den Statistiken und Notizen dereinst aber, wie erhofft, das Konzept einer Art Mitfahrerzentrale für Tramper werden kann, dürfte fraglich sein. Denn vieles unterscheidet den „Keulenspiegel“ von normalen Trampern.

Der „Mann mit dem kleinen Schuss, der Menschen, die viel im Auto unterwegs sind, Gesellschaft leistet“ (Berliner Morgenpost), hat nämlich sehr viel zu erzählen. In Adenau in der Eifel geboren, hat er viel erlebt und andere viel erleben lassen, bevor es ihn auf die Autobahnen verschlug. „Keulenspiegel“ kam 1993 nach Aachen, und zwar als Untersuchungshäftling. Als er nach Monaten wieder frei kam, provozierte er das „bürokratische Räderwerk“. Statt das Entlassungsprozedere zu absolvieren, verließ er sofort den Gerichtssaal, um sich ein Bier zu gönnen. Als er kurz darauf Ausweis und Kleidung abholen wollte, reagierte Justitia provokativ und tat so, als wisse sie nicht, wer der Mann sei. Also startete Zimmermann eine „Köpenickiade“, lief Monate in abgewetzter Bundeswehruniform herum, beging im Akkord Zechprellerei, nur um wieder hinter Gittern zu dürfen. Ziel: eine korrekte Entlassung erwirken. Straftaten deklarierte er dabei als „Sozialkunstwerke“. Hausdurchsuchungen und Gerichtstermine wurden seine Begleiter. „Sein“ Publikum lud er dabei per „Platzkarte“ auf einen „Logenplatz“ zu Prozessen ein, die er „Kabarettveranstaltungen“ schimpfte.

Anlässlich eines späteren Prozesses über einen medizinischen Operationsfehler fuhr er mit Kindersarg als Fahrradanhänger durch Aachen. Den Job als Pfleger in einem Altenheim verlor er wegen anderer Aktionskünste. Das ihm erteilte Hausverbot missachtete er, da er die seinerzeit mit 103 Jahren älteste Aachenerin weiterhin besuchen wollte. Später wurden ihm 24 Hausfriedensbrüche vorgeworfen. Er fand das ungerecht und bestand vor Gericht darauf, dass er wegen der von ihm sorgfältig protokollierten und beglaubigten 292 Hausfriedensbrüche verurteilt werden müsse.

Ohne Ziel reise er nur noch selten, sagt Zimmermann heute, er ist etwas ruhiger geworden als in seinen wilden Tagen. Aber wenn er Zeit habe und eine gute Tour erwische, – etwa mit einer Truckerin entlang der Mittelmeerküste Côte d‘Azur – dann ändere er seine Pläne kurzfristig. Dem Trampen sei es auch zu verdanken, dass er sein spleeniges Interesse für die Rechtsprechung und die spektakulärsten Prozesse stillen konnte. Von Berlin aus, wo er einst seine Freundin hatte, sei er zu allen Verhandlungstagen im Gerichtsverfahren wegen der Entführung von Jan Philipp Reemtsma nach Hamburg getrampt. Auch der Prozess gegen den Tennisstar Boris Becker wegen Steuerhinterziehung habe er besucht. „Das gibt Kilometer ohne Ende, aber Fahrtkosten spielen bei mir keine Rolle“, sagt er und kann nicht verstehen, warum der Individualverkehr so viele Ressourcen verschwende.

Neuerdings tritt Zimmermann auch an Bahnhöfen als Anhalter auf. „Nehmen Sie auch Tramper mit?“ frage er erstaunte Bahnreisende. Dann erläutert er ihnen, dass sie auf manchen Tickets der Deutschen Bahn jemanden mitnehmen dürften. Der 59-Jährige lässt sich als „Begleitperson adoptieren“ und ist so oft gratis in der 1. Klasse unterwegs.

Unlängst traf er dort auch den wegen Alkoholismus am Steuer und Fahren ohne Führerschein im offenen Vollzug inhaftierten Schauspieler Martin Semmelrogge. Der fuhr nach einer Probe in Bonn zurück in die Haftanstalt Düsseldorf und schrieb in Zimmermanns „Fahrtenbuch“: „Weiterhin gute Fahrt auf den Trittbrettern dieser Züge. Eines haben wir gemeinsam momentan: Wir lassen einen fahren.“