Kritik der Woche: Jan-Paul Koopmann über „Mu! oder people must be punished“: Großen Fragen schwungvoll nachgetreten
Kriege sind ihnen zu langweilig, der Wetterbericht nicht präzise genug. Seit Jahren sitzen Bob und Arthur in den Ruinen eines antiken Amphitheaters und warten darauf, dass ihnen der reglose Zenturio den Blick zuwendet. Erst dann wollen sie ihre große Frage stellen und das Tor durchschreiten. Das Warum bleibt unklar.
Kai Grehns Hörspiel „Mu! oder people must be punished“, das am Sonntag auf Radio Bremen seine Ursendung erfährt, handelt vom Warten um des Wartens Willen. Und obwohl das Stück geradezu überquillt vor religiösen Metaphern und den ganz großen Fragen, verbirgt sich darin keine Heilsbotschaft. Ganz im Gegenteil: Sollte es jemanden geben, der darin nicht sein eigenes antriebsloses Herumklicken im Facebook-Weltgeschehen wiedererkennt – er wäre zu beneiden.
Nur ist es eben auch verlockend kurzweilig: Im Netz wie hier im Spiel. Sprecher Sebastian Blomber und Andreas Schmidt spielen einander die Bälle zu, dass man am Zynismus schiere Freude hat. Sie plappern sich in Rage über das Leben mit „seinen Blähungen, Blasphemien, Katatonien, seinem Kommerz, seinen Kopfschmerzen, kleinen Passionen und Mysterien“.
Autor und Regisseur Grehn deckt die Aggressivität auf, die im Nichtstun schlummert. Den Hass auf die anderen: die Staatssekretäre, das „Negerkinder streichelnde Vorstandsmitglied der Goldenen Bank“ – und auf Journalisten, die allesamt Schmierenkomödianten sind. Als „Schmierenkomödie“ firmiert auch das Hörspiel selbst.
Der Schauplatz ist ein Sperrgebiet, eine „verbotene Zone“, über die sonst kaum etwas zu hören ist. Heiß ist es jedenfalls, und sandig. Nur einmal geht es richtig rund: In einer Rückblende aus den Gladiatorenkämpfen meldet sich Cäsar in einer irren Rede als Diktator, Werbesprecher und Sportkommentator zu Wort: „Im Namen der Völkerfreundschaft und der Vorfahrtschilder“ preist er das Grauen als „kleiner Genozid, der weckt, was in dir steckt.“ Frauen und Kinder solle man massakrieren, „Fickt Großmutter“, ruft er in den Jubel des Publikums, wo sich wohl echte Fangesänge mit dem Klirren von Schwertern und Hubschraubern mischen.
Die kleine Soundexplosion beweist, zu was man technisch imstande ist – um schnell wieder zu verstummen. Sonst ist die Produktion zurückhaltend: Hier und da mal ein paar langsame Schritte im Arenasand, gerade genug Effekt, um zu klären, dass hier wirklich nichts passiert.
Da wird mit fernöstlicher Weisheit und anderen Blödheiten jongliert, wissendes Lächeln als stumpfe Ignoranz entlarvt. Auch die Philosophie versandet zuverlässig im Geblödel: „Sowas ham wir lange nicht geseh’n“, singt einer – und das ist eben gerade nicht „so wunderschön“.
Im Großen geht es um Leben, Tod, Schicksal und Wiedergeburt. Auch die der Geschichte: „Kommt Zeit, kommt Krieg, kommt Wirtschaftswunder“, sagt Cäsar im wohl klarsten Moment dieses sonderbar verschachtelten Stücks. Ohne viel Tamtam verbleibt ein durchweg gesprochene Plädoyer gegen das Gerede.
Ursendung: Sonntag, 17.05 Uhr, Nordwestradio, Wiederholung am Montag um 21.05 Uhr
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