: Jeder andere Satz ist falsch
KUNST „Henry Flint: Activities 1959 –“ in Düsseldorf stellt eine weitgehend unbekannte Ausnahmefigur der zeitgenössischen Kunst vor
VON SOPHIE JUNG
„Every other sentence on this wall is false“ – ein Satz, hundertfach ausgeführt, zieht sich in rosafarbenen Lettern über die ganze Breite der Foyerwand. Mit dieser semiotischen Verwirrung stimmt der Düsseldorfer Kunstverein auf seine aktuelle Ausstellung „Henry Flynt: Activities 1959 –“ ein. Sie ist einer weitestgehend unbekannten Ausnahmefigur der Gegenwartskunst gewidmet, dem Konzeptkünstler Henry Flynt .
Neben der Arbeit „One True Sentence“ leitet die Schau mit zahlreichen originalen Skizzen, Texten und Fotografien in die komplexe Gedankenwelt des Künstlers ein. Das sorgfältig in den Vitrinen ausgelegte Publikationsmaterial macht deutlich: Henry Flynt ist ein Avantgarde-Denker. Er ist Musiker, Künstler, Kunsttheoretiker. Er ist Mathematiker, Politiker und promovierter Ökonom.
Im New York der 60er Jahre bewegte sich der 1940 geborene Flynt in der Fluxus-Szene, im Dunstkreis von Lou Reed, Yoko Ono und La Monte Young. Mit seinen theoretischen Schriften und politischen Aktionen provozierte er. Lange bevor Sol LeWitt 1967 von einer neuen Kunstform, einer „conceptual art“ sprach, propagierte Flynt bereits seine „concept art“ – eine Kunst, die mit allen Gesetzmäßigkeiten der Logik brechen sollte.
1962 rief er zur „Acognitive Culture“ auf und forderte Kunst als Entertainment außerhalb der Institutionen und repressiven Normen. Mit Plakataktionen protestierte Flynt gemeinsam mit Jack Smith und Tony Conrads in den 1960er Jahren gegen die „serious culture“ in Museen und Galerien. Viele seiner Künstlergefährten sind mittlerweile in den Olymp der ganz Großen aufgestiegen. Und Henry Flynt selbst? Obwohl er von Kollegen geschätzt wird, ist er bis heute von der Kunstgeschichte wenig beachtet. Es ist der Verdienst des neuen Leiters des Düsseldorfer Kunstvereins, Hans-Jürgen Hafner, dem New Yorker Künstler eine erste institutionelle Einzelausstellung zu widmen. Diese Retrospektive präsentiert Flynts frühe, umtriebige Schaffensphase und seine gereiften, konzeptionellen Bildarbeiten und Installationen seit den späten Achtzigern bis heute.
Mit „Henry Flynt: Activities 1959–“ kommt Hafner seiner Ankündigung nach, die „Leistungen bislang fehl bewerteter Künstlerinnen und Künstler einer älteren Generation“ zu zeigen, wie er es in einem Interview mit dem Kunstmagazin Monopol angekündigt hatte. Diese Haltung ist lobenswert. Dennoch hätte die Schau zugänglicher gestaltet werden können. Ob „conceptual art“ oder „concept art“, die Kunstform eines Henry Flynts ist verkopft und bedarf einiger Erläuterungen, die schlicht fehlen. So steht der Betrachter etwas ratlos vor einem prominent platzierten Tafelbild mit dem Titel „Mirror-Fragmented Poem“. Die großformatige Arbeit von 1993 zeigt ein Muster aus roten, gelben, blauen und grünen Vielecken, das nach einem womöglich mathematischen Prinzip erschaffen wurde. Wie in einem ironischen Spiel mit geometrischen Formen muten seine farbigen Trapeze eine Rechtwinkligkeit nur an. Sehr schön eigentlich. In Spekulationen verliert sich der Betrachter auch bei den primitiv dahergepinselten Quadraten der Arbeit „Morning Vision“ von 1988 oder seinen comicartigen Zeichnungen von 1993.
Konsequent reizt Flynt in seinem Werk die Gesetzmäßigkeiten der Logik und Wahrnehmung aus. „This sentence is french“, heißt es auf einem Kartondruck mit dem Titel „Self-Validating Falsehood“. Ähnlich spielerisch fordert er in seinen geometrischen Arbeiten den Verstand heraus. Neun Kuben, in Blattgold auf ein schwarzes Panel gezeichnet, verwirren in der Ungreifbarkeit ihrer Perspektivdarstellung. Außerhalb des Kunstvereins befindet sich in einem Ladenlokal ein weiterer Ausstellungsraum. Dort führt Flynt die Repetition dieser unwägbaren Quadrate bis zur optischen Verstörung weiter: In einer Raum-im-Raum-Installation sind alle Wände und die Decke mit dem Vielfachen eines Quadergitters bedruckt. Bekannt ist Flynt auch durch sein musikalisches Werk. Seine in den Nullerjahren neu veröffentlichten Alben, die zwischen seltsamem Country und instrumentellen Klangversuchen changieren, bescherten Flynt einen späten Ruhm. Fällt seiner Musik in der Ausstellung wenig Aufmerksamkeit zu, so zeigt ein Konvolut an Notizen, Zeichnungen, Modellen für seinen „Optical Audio Recorder“ aus den Sechzigern seine konzeptuelle Versuche, mit Klang zu experimentieren.
Dennoch, Kurator Hans-Jürgen Haffner hat mit seinen mühsam zusammengetragenen Exponaten, bereichert um Rekonstruktionen und aktuelle Auftragsarbeiten, ein umfangreiches Porträt der eigenwilligen Künstlerfigur Henry Flynt geschaffen. Ein wenig trocken vielleicht, aber vor allem scharfsinnig und witzig ist der Stoff des von Mathematik und Linguistik getriebenen Querdenkers.
■ Bis 20. Januar 2013, Kunstverein Düsseldorf