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Archiv-Artikel

„Tanz ist ein Ausdruck von Verletzungen“

Iran und Palästina: Helena Waldmann sucht sich für ihr Tanztheater nicht gerade einfache Arbeitsplätze aus. In Teheran dürfen Frauen eigentlich nicht tanzen, in Palästina schränken Kontrollen die Bewegung ein. Ein Gespräch mit der Choreografin, deren Stück „Letters from Tentland“ jetzt durch Deutschland tourt

VON DOROTHEA MARCUS

taz: Ihr Stück „Letters from Tentland“ haben Sie mit iranischen Tänzerinnen im Iran erarbeitet, es hatte im Januar in Teheran Premiere und war dort sehr umstritten. Warum wird es dort, entgegen der ursprünglichen Planungen, nicht mehr gezeigt?

Helena Waldmann: Mit der neuen Regierung hat das Stück keine Chance mehr. Meine Schauspielerinnen erzählen mir, dass progressive Kunst im Iran nun nicht mehr stattfinden kann. Schon als wir es diesen April in Teheran spielen sollten, wurden alle sehr vorsichtig. Es herrschte bereits mehrere Monate vor den Wahlen eine regelrechte Angstwelle, in die auch das Stück gefallen ist.

Es haben aber auch Oppositionelle deutliche Kritik geübt: Das Stück sei klischeehaft, die Bilder der Zelte als Thematisierung der Schleier plakativ, man würde so wenig auf der Bühne sehen …

Das haben Männer gesagt, oder? Bei Frauen habe ich genau das Gegenteil gehört, Frauen, die extrem berührt waren, die sagten, es war für sie so schmerzhaft, das Stück zu sehen, dass sie am liebsten auf die Bühne gerannt wären, um die Zelte herunterzureißen. Natürlich ist es auch eine Frechheit, die Frauen da hineinzustecken, eine Übertreibung. Aber sie tut weh.

Es fällt mir bei unserer Tournee auf, dass Frauen emotionaler und direkter reagieren, weil sie mit meinen iranischen Botschafterinnen sprechen können. Wir waren gerade in São Paulo. Brasilien und Iran, das ist so weit auseinander, wie man es sich nur vorstellen kann. Gerade der zweite Teil hinter dem Vorhang, bei dem nur Frauen zugelassen sind, war immens: die Kommunikation zwischen brasilianischen Frauen, die unter ihrer gesellschaftlich aufoktroyierten Nacktheit leiden, und den Iranerinnen, die unter dem Schleier leiden. Man kann sich kaum vorstellen, wie meinen Schauspielerinnen der Mund offen stand.

Aber tut das Stück auf Welttournee nicht nur so, als sei es iranisch? Ist es nicht vielmehr der – zwangsläufig klischeehafte – Blick einer deutschen Regisseurin auf den Iran?

Ganz großer Einspruch. Dieses Stück ist sehr iranisch. Es ist von und mit sieben iranischen Schauspielerinnen. Ich hätte mir das, was sie aus dem Zelt erzählen, nie ausdenken können. Ich habe ihnen gesagt: Ihr müsst mir mitteilen, was in eurem Land passiert, was davon ihr ausdrücken wollt. Es ist in Teheran entstanden, ich habe mich ihren Bedingungen ausgesetzt. Auch dass sie den Mut aufbringen, auf der Bühne fast die ganze Zeit in Zelten zu sein, obwohl sie das zunächst als Unglaublichkeit empfanden. Sie haben mit mir gemeinsam ein Risiko auf sich genommen, das sie tagtäglich im Alltag aufbringen – das macht es sehr iranisch.

Kurz danach haben Sie in Palästina gearbeitet. Der Film „Emotional Rescue“ über die palästinensische Tanzkompanie El-Funoun aus Ramallah hatte dort im September Premiere. Es ist ein Film voller Mauern, Zäunen und Kontrollpunkten. Wollten die Tänzer das so?

Ich hab die Mitglieder von El-Funoun, immerhin 25 Personen, gefragt, ob sie mir eine Geschichte erzählen wollen. Entweder eine, die ihr Leben verändert hat, oder von der sie finden, dass sie der Welt erzählt werden sollte. All ihre Geschichten spielen in verschiedenen Städten in der West Bank. Die Mutter einer der Tänzerinnen wurde in Nablus mit 14 Kugeln von einem israelischen Soldaten niedergeschossen, der andere war in Isolationshaft in Ramallah. Um die Wunden zu zeigen, haben wir das Leitmotiv des Krankenwagens erfunden: Man sieht permanent Krankenwagen, die zwischen den palästinensischen Orten hin und her fahren. Wobei es mir hier aber nicht um die körperliche, sondern um die emotionale Verletzung geht. Also nicht um den Tanz als Akt der Befreiung, sondern um die Behinderungen, die architektonischen, politischen und auch moralischen.

Besteht bei solchen Leidensgeschichten nicht die Gefahr politischer Vereinnahmung? Es gibt ja auch auf israelischer Seite Opfer.

Natürlich, sogar massenweise Opfer. Und genau das verbindet die beiden so absurd getrennten Völker auch. Aber ich war nun einmal in Palästina. Ich hatte auch nicht vor, das Leid von Israel und Palästina gegenüberzustellen, sondern zu erforschen, was in palästinensischen Tänzern vor sich geht. Der Film ist nun aber auch nach Israel eingeladen, und das ist sehr gut so. „Emotional Rescue“ ist auf beiden Seiten notwendig. Und das wird auch von beiden so verstanden, solange nicht politische Interessen dieses Leid überschatten.

Dennoch ist es ein Film, der gegen Israel ist und stark die Opferrolle der Palästinenser reflektiert.

Ist der Film gegen Israel? Nur, weil man sich als Palästinenser nicht durch das Land bewegen kann? Natürlich leiden sie unter der Besatzung. Und redet man mit den Israelis, leiden die auch. Niemand findet lustig, was da passiert. Als ich mal allein von Ramallah ans Tote Meer fuhr, dauerte es 45 Minuten. Ganz normal. Aber mit meinen Tänzern, Fahrern und dem Kamerateam hat der gleiche Weg fünf Stunden gebraucht! Einfach, weil uns die Checkpoints nicht durchgelassen haben. Man ist eingekreist von seltsamen Stoppschildern, die auch in meinem Film auftauchen.

Als ich aus dem Gaza-Streifen kam, habe ich nur gedacht: Wir dürfen die Leute da nicht vergessen. Ich konnte zwei Nächte lang nicht schlafen, es ist grausam, die Menschen fressen sich selber auf. Ich habe noch nie so gnadenlos abgekaute Fingernägel gesehen, bis aufs tiefste Fleisch. Viele haben keinen Pass, kommen nie raus, Gaza war einfach irrsinnige Hoffnungslosigkeit. Das zu sehen, zu sagen, zu wissen und zu filmen: das ist doch nicht antiisraelisch, das ist doch zuerst einmal Realität.

Glauben Sie, dass künstlerische Arbeit in Krisengebieten politische Situationen verbessern kann?

In den Ländern selbst nicht sonderlich. Man eckt aber an. Und Anecken, die Auseinandersetzung mit Zensurbehörden, das erweitert zumindest die Möglichkeit, agieren zu können. Nehmen wir doch den angeblich so plakativen Gleichklang von Zelt und Schleier. Er ist aber tatsächlich die einzige Möglichkeit, die Zensur zu überlisten, ohne ihr das Gesicht zu rauben. Der Schleier ermöglicht Freiheiten – und genau das sehen die Menschen, die „Letters from Tentland“ besuchen: dass das Klischee vom Schleier als Unterdrückungsinstrument eben das eigentliche Klischee ist. Aber sobald man hinter den Vorhang tritt und sieht, wie die Frauen dort miteinander reden, wie sie mit Vorurteilen kommen und sie ablegen, sich annähern – da entstehen unglaubliche Momente.