: Südliches Flair in Skandinavien
Schmetterlinge und tropische Fische ziehen aus dem Süden nach Nordeuropa. Die Temperaturen sind dort deutlich gestiegen. Experten fordern erneut dazu auf, den Treibhauseffekt zu bekämpfen. Denn seine Auswirkungen sind nicht nur angenehm
AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF
Die Ostsee könnte zur Adria werden, Skandinavien zum sonnigen Urlaubsland. Langfristig. Deutliche Vorboten des Klimawandels sind aber schon jetzt im Norden angekommen: Fachleute finden in Dänemark, Finnland und Schweden Schmetterlinge aus Südeuropa oder Fische aus tropischen Gewässern. In einem Bericht für den nordischen Ministerrat riefen die Wissenschaftler jetzt die Politiker auf, gegen den Treibhauseffekt vorzugehen. Die Experten sind sich sicher, dass die Temperaturen weiter steigen und extreme Wetterlagen zunehmen werden. Welche durchgreifenden Veränderungen es in der Natur wegen des Klimawandels gibt, das zeigt sich schon jetzt besonders gut am Tandövala, einem Berg in Südschweden.
Auf Schwarzweißfotos, die vor 40 Jahren gemacht wurden, verlief in 774 Meter Höhe noch die Baumgrenze. Die Bergspitze war eine kahle Kuppe. Farbaufnahmen von Mitte der Siebzigerjahre zeigen schon, wie sich erste Zwergbirken den Hang nach oben gearbeitet haben. Heute ist der Berg komplett mit Nadelwald zugewachsen. Grund: Die mittlere Temperatur ist am Tandövala seit 1949 um 0,8 Grad gestiegen.
Im Schnitt hat die Temperatur in Skandinavien in den letzten Jahren um 0,6 Grad zugenommen. Zugleich hat es mehr geregnet: In Südskandinavien gab es 10 Prozent mehr Niederschlag, im Norden bis zu 50 Prozent mehr. Die größten Veränderungen haben dabei in den letzten Jahrzehnten stattgefunden.
Folge der Klimaänderungen: Allein in den Jahren seit 1982 hat sich die Vegetationsperiode im Süden und entlang der norwegischen Atlantikküste um mehr als vier Wochen verlängert. Im Norden haben die Pflanzen gut zwei Wochen mehr Zeit, zu wachsen. Zudem siedeln sich Pflanzen und Tiere an, deren Art bislang im Norden nicht vorkam. Vogelkundler melden jedes Jahr rund ein Dutzend neuer Arten. Und immer mehr Vögel schaffen es, zwei neue Generationen in einer einzigen Sommerperiode aufzuziehen.
Auch in den Fischernetzen finden sich Exemplare, die bisher nur in südlicheren Gewässern heimisch waren, während Kaltwasserfische wie Dorsch und Scholle immer seltener werden.
Dramatische Auswirkungen hatte die minimale Erwärmung bereits auf Moorgebiete mit einem Permafrostkern, wie sie im Nordteil der ganzen nördlichen Halbkugel anzutreffen sind: In Schweden ist bereits die Hälfte dieser Flächen verschwunden, in Finnland ein Drittel, in Norwegen gibt es sie überhaupt nicht mehr. Viele Flechten werden immer weiter nach Norden zurückgedrängt, und Tiere wie der Polarfuchs sind nahezu ausgestorben.
Für die nächsten 80 bis 100 Jahre rechnen Klimamodelle statt mit einem Plus von 0,6 Grad mit einem Temperaturanstieg von 1,5 bis 5,8 Grad. Schon 2070 könnten die deutschen und südschwedischen Ostseeküsten demnach ein Adriaklima haben. Dafür würde dann in der spanischen Wüste kaum noch jemand Urlaub machen wollen. Wenn nicht noch, wie Experten sagen, eine „Überraschung im Treibhaus“ passiert – und der Golfstrom, die Warmwasserheizung im Atlantik, zum Erliegen kommt. Dann würde Skandinavien vereisen.