: Das Bett gehört mir
Biller Papers (6) Eine Kritik „in Progress“ zu Maxim Billers neuem Roman „Biografie“
Biografie“, merkwürdiger Titel für einen Roman? Für diesen Roman von Maxim Biller lässt sich kaum ein passenderer finden. Höchstens „Biografien“, aber das wäre zu beliebig postmodern. Ein Teil des Lesevergnügens besteht ja darin, sich zu fragen, wie viel Biller-Biografie in der Lebensgeschichte seines Protagonisten, des Schriftstellers Soli Karubiner, steckt. (Der glaubt, er werde von „Philo-, Anti-, und Originalsemiten“ für „das stakkatohafte, moralische, dionsysische, kurz: intellektuelle Denunzieren einer Welt, die andere Menschen doch nur ein bisschen zu lieben versuchen“, gehasst und bewundert.)
Zu Solis Biografie gehört seine Busenfreundschaft zu Noah Forlani genauso wie das Verhältnis zu Vater Wowa, „dem Schrecklichen“, zu seiner Schwester Serafina und nicht zuletzt zu „Mamascha“. Im Zuge der Erzählung werden aber auch die Biografien verschiedener anderer Figuren, mal detailreich, mal skizzenhaft aus. Die Idee des Biografischen in Gestalt eines psychoanalytischen Familien-, Freund- und Feindschaftsromans prägt die Story auf allen Ebenen.
Nur scheinbar dominieren Väter diese Lebensgeschichten, weil das Wirken der Mütter auch in traditionellen Familien nicht zu unterschätzen ist, was von Biller paradoxerweise gerade dadurch betont wird, dass nur „Mamascha“ namenlos bleibt. Während sich der feministische Leser gerade darüber zu mokieren beginnt, warum Biller seine Frauenfiguren erzählerisch so vernachlässigt, hat der Autor heimlich, still und leise hier und da bereits einige Hinweise fallen gelassen, was es mit den Müttern in diesem jüdischen Post-Holocaust-Kosmos auf sich hat.
Solis Mutter etwa, Schriftstellerin wie der Vater, erscheint Zug um Zug mehr als selbstverliebte Komplizin der väterlichen Ohrfeigen, als „scheinheilige Wowa-Kollaborateurin“. Die Mutter Noahs wiederum, der elterliche Liebe in Form von Bordell-Geheimkonten und Überwachungskameras erfährt, ist selbst Opfer ihres Manns, sie „besaß kein eigenes Konto, keine Kreditkarte, keine EC-Karte, dafür warf er sie manchmal nachts aus dem Bett, wenn sie ihn nervte, und sagte: ‚Das Bett gehört mir. Ich habe es bezahlt.‘ “
Mütter und Töchter sind wie Väter und Söhne Opfer und Täter zugleich. Menschen halt, die damit klarkommen müssen, was sie als Kinder erlebt haben. Das klappt nicht so richtig gut, was dem Leser bekannt vorkommt. Während die literarische Biografie Maxim Billers von der Kritik leicht entnervt aufgenommen wurde, klettert eine andere Autobiografie gerade in den Charts nach oben. Die protestantische Geschichte Benjamin von Stuckrad-Barres handelt von Absturz, Scham, Reue und Wiederauferstehung eines Pastorenkindes. Vielleicht haben die Trolle von der AfD ja doch recht: Deutschland ist ein christliches Land, in dem die Nachricht, dass es keine Erlösung gibt, immer noch nicht gern gehört wird. Ulrich Gutmair
Die ersten fünf Folgen der Biller Papers finden sie unter taz.de/BillerPapers
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