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Archiv-Artikel

„Den Kunden fällt meist gar nicht auf, dass da eine Frau im Mantel steckt“

HEILIG ABEND Die Genderfrage hat längst auch im Weihnachtsbusiness Einzug gehalten, berichtet Bernd Skischally vom Weihnachtsmannbüro des Studentenwerks

Bernd Skischally

■ 1983 geboren, ist als Musikmanager und freier Journalist tätig. Während der Vorweihnachtszeit leitet er seit drei Jahren das Weihnachtsmannprojekt der Jobvermittlung Heinzelmännchen des Berliner Studentenwerks.

INTERVIEW JÖRN WEGNER

taz: Herr Skischally, beim Weihnachtsmanndienst kann man auch Weihnachtsfrauen buchen. Wie kam es dazu?

Bernd Skischally: Der Kunde ist ein eher konservatives Wesen und will seit 1949 im Wesentlichen dasselbe: einen Weihnachtsmann, der die Geschenke bringt und die Kinder maßregelt. Nun hatte aber unser Projekt schon immer eine linke Note und einen leicht gesellschaftskritischen Ansatz. Zudem gab es viele junge Frauen, die gerne hier gearbeitet hätten. Uns hat genervt, dass wir sie wegschicken mussten, weil wir nicht genügend Kunden für sie hatten. Deshalb gibt es seit längerem den weiblichen Weihnachtsengel, der den Weihnachtsmann begleitet. Und außerdem dieses Jahr erstmals bei uns die Weihnachtsfrau.

Wie sieht die Weihnachtsfrau denn aus und was ist ihre Rolle an Heiligabend?

Die Weihnachtsfrauen sind in der Gestaltung ihrer Kostüme ziemlich frei. Ein wenig Orientierung gibt Joulomuori, die Frau des finnischen Weihnachtsmannes. Ansonsten unterscheidet sich ihre Rolle nicht vom Weihnachtsmann: Lieder singen, Gedichte aufsagen und Geschenke bringen.

Was ist mit dem Weihnachtsmann im Rollstuhl?

Wir haben einen Kollegen, der im Rollstuhl sitzt. Und wir möchten so mit unseren Angeboten ein Zeichen für Vielfältigkeit setzen, spezifische Buchungen gibt es allerdings bislang nicht.

Werden auch die Weihnachtsfrauen nur auf besondere Bestellung rausgeschickt?

Wenn eine Weihnachtsfrau explizit gewünscht wird, dann schicken wir sie natürlich dorthin. Es gibt daneben auch ein paar Frauen, die einen Rollentausch machen und als Weihnachtsmann gehen. Da haben wir aber nicht viele – so zwei oder drei bei insgesamt 300 bis 400 Leuten, die auf Tour gehen. Meistens fällt es den Kunden gar nicht auf, dass da eine Frau im Mantel steckt. Unsere Studentinnen sind sehr bemüht, die Rolle so authentisch wie möglich zu verkörpern. Sie sprechen mit tiefer Stimme, was die Männer natürlich oft ebenfalls tun müssen.

Gibt es auch männliche Weihnachtsengel?

So weit sind wir noch nicht weder ist die Nachfrage da, noch haben wir viele Männer, die einen Engel spielen wollen.

Wie bereiten sich die Männer, Frauen etc. auf ihren Einsatz vor?

Die Kolleginnen und Kollegen klären zuerst alles im Voraus mit den Familien: Wie heißen die Kinder, wo liegen die Geschenke, gibt es irgendwelche Sonderwünsche? Dann gehen sie zur abgesprochenen Zeit zu den Familien. Meistens liegen die Geschenke auf der Treppe oder beim Nachbarn bereit; der Weihnachtsmann stopft sie in seinen Sack.

Der Weihnachtsmann hat auch ein wenig die Rolle des Schlichters. Aber er muss immer wissen, dass er da in die Intimsphäre einer Familie vordringt

Und dann geht’s los?

Ja. Er klopft oder klingelt an der Tür, betritt den Raum und spricht ein Gedicht oder etwas anderes zur Begrüßung. Und da der Weihnachtsmann sehr alt ist, muss er sich dann erst mal hinsetzen. Er liest aus dem goldenen Buch, dann wird vielleicht ein Lied gesungen, danach gibt es die Bescherung. Schließlich verabschiedet sich der Weihnachtsmann und nimmt unauffällig sein Honorar entgegen. Das Ganze dauert etwa zehn Minuten.

Die meisten Weihnachtsmann-Buchungen gab es im vergangenen Jahr in Steglitz-Zehlendorf und Pankow. Ein Zufall?

Der alte Westen und der alte Osten. In Friedrichshain und Neukölln haben wir eher wenig Buchungen, da scheint sich die Gentrifizierung wohl noch nicht auszuwirken. In zehn Jahren, wenn die heutigen Studierenden Kinder kriegen, sieht’s da wahrscheinlich anders aus.

Ist der Weihnachtsmann also ein Requisit der Bürgerlichkeit?

Schon ein wenig. Andererseits zieht sich das Interesse, glaube ich, durch ziemlich viele Milieus: Der Weihnachtsmann ist so eine offen gehaltene Figur, die man auf verschiedene Weise auslegen kann. Wir wissen nicht, ob die Familien, die bei uns buchen, besonders im Brauchtum verhaftet sind oder ob sich auch viele junge, linksalternative Eltern einen Weihnachtsmann gönnen.

Gibt es die typische Familie, die einen Weihnachtsmann bucht?

Nein. Hier rufen wirklich alle Arten von Familien an. Da gibt es den stinkreichen schnöseligen Bankdirektor, der nach Feierabend gehetzt anruft, um für seine Kleinfamilie noch schnell jemanden zu bestellen. Da ist aber genauso gut die Familie, die von Hartz IV lebt und sich gut überlegt, ob sie sich einen Weihnachtsmann leisten kann. Da steht dann die Frage im Raum: Schenkt man sich weniger zu Weihnachten und lässt dafür den Weihnachtsmann kommen? Und: Was bringt das eigentlich, dass dieser Mann da kommt? Lohnt sich das?

Und lohnt es sich?

Der Weihnachtsmann kommt

■ Bereits seit 1949 kann man sich bei der Jobvermittlung des Studentenwerks einen Weihnachtsmann zur Bescherung nach Hause bestellen, auf Wunsch bringt auch eine Weihnachtsfrau die Geschenke. 300 bis 400 Studierende ziehen sich jedes Jahr an Heiligabend das Weihnachtsmannkostüm an und besuchen insgesamt mehr als 3.000 Familien in Berlin und Brandenburg.

■ Besonders begehrt sind sie in den Bezirken Pankow und Steglitz-Zehlendorf, wie die nebenstehende Grafik zeigt. In Friedrichshain-Kreuzberg glauben offenbar nur sehr wenige Menschen an den Weihnachtsmann.

■ Vor ihrem Besuch müssen die Weihnachtsmänner und -frauen eine mehrstündige Schulung absolvieren, an einer Vollversammlung teilnehmen und natürlich mit den Familien besprechen, wo die Geschenke liegen, wie die Kinder heißen oder welche Lieder gern gehört werden. Der Auftritt an Heiligabend dauert dann lediglich rund zehn Minuten.

■ Der Besuch eines Weihnachtsmanns oder einer Weihnachtsfrau kostet 41 Euro. Wenn mehr als drei Kinder zur Familie gehören, wird es teurer. Ein Weihnachtsengel in Begleitung des Weihnachtsmanns kostet extra. An einem Abend verdienen die Studierenden so zwischen 400 und 500 Euro und absolvieren dafür 10 bis 15 jeweils zehnminütige Einsätze.

■ Für kommenden Montag haben die studentischen Weihnachtsmänner und -frauen leider keine Bescherungstermine mehr zu vergeben.

Ja, ich denke schon. Der Weihnachtsmann bringt Kinderaugen zum Leuchten, das ist schon was Besonderes. Wenn es mit dem Geld sehr knapp wird, machen unsere Kolleginnen und Kollegen auch Sozialeinsätze. Einige machen dann freiwillig zwischen ihren bezahlten Aufträgen auch ein, zwei kostenlose Besuche bei Familien, die wenig Geld haben.

Was erzählen die Weihnachtsmänner und -frauen, wenn sie zurückkommen?

Da gibt’s schon immer wieder Geschichten. Bei extremen Situationen hat das oft mit Alkohol bei der Familie zu tun oder mit grundlegenden Spannungen. Gerade an Weihnachten spitzen sich Situationen ja oft emotional sehr zu. Da gibt es dann Väter, die ihr Leben hauptsächlich im Büro verbringen und dann glauben, sie könnten mit einem Weihnachtsmann die längst zerrüttete Familie wenigstens an Heiligabend wieder kitten und die Konflikte so überdecken. Unsere Kolleginnen und Kollegen werden zwar auf solche Dinge vorbereitet. Aber schwere Konflikte können sie dann auch nicht lösen. Der Weihnachtsmann hat auch ein wenig die Rolle des Schlichters. Aber er muss immer wissen, dass er da in die Intimsphäre einer Familie vordringt, deren Konflikte oftmals sehr tief liegen. Glücklicherweise sind solche Erfahrungen die große Ausnahme.

Buchen auch muslimische oder jüdische Familien Weihnachtsmänner oder -frauen?

Ganz im Ausnahmefall. Wir haben aber viele muslimische Jungs und Mädchen, die für uns arbeiten. Für diese KollegInnen ist das eine gute Chance, diesen Tag sinnvoll zu füllen. Während die restliche Welt stillsteht, haben die einen coolen Job.