: Toll, ein Heimatfilm!
ZAPPEN Nirgends ist Fernsehen so schön wie in der Fremdherberge. Hier hält man den Quatsch aus
VON JENNI ZYLKA
Schön, wenn sich wenigstens einer freut, dass man da ist. „Herzlich Willkommen, Frau Zylka“ steht auf dem Bildschirm des Hotel-TV-Geräts, und die individualisierte Begrüßung soll mir das Herz erwärmen, meine Laune heben und mich dazu anstacheln, später beim Fernsehen die ganze Minibar auszuräumen, vom Küstennebel bis zum Faber Piccolo. Mach ich eventuell auch.
In der Fremdherberge lässt sich immer gut glotzen. Ich fange sogar morgens damit an, was ich zu Hause nie tue. Erstens, um diversen erziehungsbedürftigen Menschen im direkten Umkreis zu bedeuten, dass mir das blöde Fernsehen komplett am Popöchen vorbeigeht, und zweitens, weil ich es sündig finde, Fernsehen zu schauen, wenn es draußen noch hell ist.
Aber für Hotels gilt das nicht. Da lasse ich mich, wenn möglich, vom Fernseher wecken: 7 Uhr, bums, „Morgenmagazin“, der steife Sven Lorig mopst sich auf dem Sofa, oder irgendjemand bekommt eine Moma-Tasse an den Kopf, die dabei noch nicht mal kaputtgeht, so dick ist das Porzellan. Oder, je nachdem, warum ich mich im Hotel aufhalte: 11 Uhr, bums, Vormittagsheimatfilm von 1956, und mein Kopf tut – bestimmt von den irren Technicolorfarben – tüchtig weh. Nachts finde ich am Hotelgerät den ersten, extrem gruseligen Film von Tomas Alfredson oder „Die Kinder von Golzow“ oder „Splash – Jungfrau am Haken“, oder ich bleibe an einem Interview mit Sven Giegold zum Thema „Börsenaufsicht“ hängen.
Im heimischen Medienraum könnte das nie passieren. Wenn ich zu Hause den Fernseher anmache, zum Beispiel weil ich über eine Sendung schreiben muss, läuft eigentlich immer „Shopping Queen“. Ich denke, das liegt – neben der bei urlaubsbedingten Hotelaufenthalten eventuell mangelnden Arbeitsmoral – daran, dass Hotelfernseher mysteriöserweise andere, bessere Inhalte zeigen – und ich meine nicht nur die Blue Channels, diese Nacktensender. Gegen die habe ich überhaupt nichts. Neulich machte ich beim Auschecken gar den – wie ich fand – sehr lustigen Witz, auf die Frage „Hatten Sie noch etwas aus der Minibar?“ mit „Nein, aber Dark Desires 3“ zu antworten, damit der Kollege rot wird, der neben mir ebenfalls auscheckte. Stattdessen wurde nur ich rot.
Doch Fernseher ziehen mich vor allem in fremdländischen Hotels an. Schwedische Abendshows zum Beispiel, die ich jüngst während der Stockholmreise zu verstehen versuchte. Wir mussten ziemlich lange und intensiv vorglühen, weil Alkohol in Skandinavien ja so hoch versteuert wird und deshalb in Kneipen schweineteuer ist. Tausende von grübchenzeigenden Pippi-Langstrumpf- und Tommy-Blondinen beiderlei Geschlechts grölten wie die Fischerchöre gemeinsam mit ein paar Musikern in ihrer lustigen Sprache Volksweisen. Und in der Unterzeile hüpfte ein Kringel zum Mitsingen von Wort zu Wort, was etwas irritierend war, denn das schwedische Idiom beinhaltet eh eine Menge unsinniger Kringel auf den Buchstaben.
Ob darin die Basis für die schwedische gute Laune liegt, dass die ganze Nation erst einmal gemeinsam singt, bevor alle ausgehen, viel zu teures öl trinken und später in Kneipen Frauen nicht in die Dekolletees gucken, denn in Schweden gibt es ja keinen Sexismus? „Allsång på Skansen“ (mit zwei Extrakringeln) so heißt die Show, ist eventuell der Befrieder der Nation.
Oder vor Jahren in einem Hotel Italien, wo mehrere junge Leute in einer Fernsehgroßküche herumhüpften und „Maschiee, Maschiee!“ riefen, mit weichem sch wie bei Gerome, und ich mich bereits in einer interessanten Doku-Soap-WG-Problematik wähnte, bis ich merkte, dass es eine Maggi-Werbung war. Das muss sich doch auf den Charakter auswirken!
An Wegfahren muss man momentan aber nicht denken. Denn gerade kann man auch zu Hause ausnahmsweise fernsehen: Die Sender ergreifen, saisonal bedingt, ihre einzige Chance auf gute Quoten, und zeigen wie immer herrliches olles Weihnachtszeug, Pippi, die Hartmanns, Das singende klingende Bäumchen, die alte Feministenschwester Popelku, auf Deutsch Aschenbrödel, die in Vaclav Vorliceks grandioser Adaption des Märchens dem Prinzen mit der Armbrust zeigt, was eine Harke ist. Und eine Neuverfilmung des düsteren Grimm-Märchens Allerleirauh (Nummer 65 der Kinder- und Hausmärchen), in der sich die Prinzessin vor den inzestuösen Übergriffen ihres Vaters in Sicherheit bringen muss. Genau das richtige für ein Familienfest.
Der nächste Höhepunkt kommt beim Verdauungsfernsehen zwischen den Jahren. Doch dann, wenn Silvester ansteht, fällt das Programm auf das Bodenlose der Tatsachen zurück, und zeigt sein wahres Gesicht, so wie die ARD: Andy Borg und seine Gäste, unter anderen Johnny Logan, die Saragossa Band und Michael Holm. Wenn das noch ein paar Jahre so weitergeht, schauen mehr lebendige Augen raus als rein. Um Mitternacht, wenn die Saragossa Band längst in der Gosse liegt, kann man sich, ganz egal wo man mit wem feiert oder darbt und welche Launen man erlebt, auf jeden Fall darüber freuen, dass man nicht vor dem nassen Brandenburger Tor stehen muss, wo es bestimmt ordentlich in die Kamera rumst.
Bei Rumsen fällt mir wieder der Blue Channel im Hotel ein. Was zeigt der wohl Silvester? Glockenläuten? Und was bringen die Einkaufskanäle? Darf man sich um 0 Uhr eine der Sammlerpuppen aussuchen, die von den Moderatorinnen immer wie reale Kinder beschrieben werden, „mit roten Bäckchen, die aussehen, als sei das Kindchen im Schnee draußen gewesen“? Der Kika scheint mit seinem Silvesterprogramm noch nicht so richtig entschlossen: Atatt um Mitternacht eine Livekamera in die Kriegsgebiete der Groß- und Kleinstädte zu schalten, in denen potenzielle Kika-ZuschauerInnen kiloweise Böller ab 18 Jahren abfackeln, macht er um 21 Uhr Schluss und tut, als schliefen alle brav in ihren Zipfelmützen. Dabei würde nichts einen so starken Eindruck hinterlassen wie eine mit jenen mahnenden „Finger weg von Böllern“-Plakaten untermalte Reportage über die chirurgischen Notaufnahmen der Krankenhäuser, in denen Finger wieder angenäht werden.
Huch, die Minibar ist leer. Vielleicht geh ich doch noch mal runter in die Lobby, ein paar Knallerbsen zwischen den Pagen verstreuen. Die bengalischen Fackeln braucht man ja erst wieder im Januar, im Stadion.