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Archiv-Artikel

Bemühte Originale

Überall dürregeplagter Beifuß: Annie Proulx kehrt zurück ins „Hinterland“, nach Elk Tooth, Wyoming, und bringt von dort neue Geschichten mit

Annie Proulx’ landeskundliche Anekdoten schnurren schön flink davon

von FRANK SCHÄFER

Gilbert Wolfscale hat sein ganzes Leben auf der ererbten Ranch zugebracht, er bleibt auch noch dort, als ihm die Frau wegläuft, seine Kinder ihn nicht mehr besuchen wollen, seine Mutter stirbt und sich die harte Arbeit nicht mehr lohnt. Für einen Moment jedoch kommt er aus dem gleichmäßigen Tritt. Bei einem seiner seltenen Besuche der Stadt sieht er einen dieser lokalpatriotischen Kostümumzüge vorbeidefilieren. Er fühlt sich schlecht, fährt verwirrt nach Hause, weiß aber nicht, was ihn so mitnimmt. „Und da fiel ihm ein, dass es in der Parade keine Rancher gegeben hatte – nur Pioniere, Bösewichter, Indianer und Gasarbeiter.“

Annie Proulx’ jüngstes Buch versammelt „Neue Geschichten aus Wyoming“ und dürfte vom dortigen Fremdenverkehrsamt mit einem großzügigen Stipendium gefördert worden sein, so liebevoll zeichnet sie die hier beheimateten Käuze, ihre putzigen Schrullen und Macken und manchmal auch traurigen Schicksale, und so einnehmend kann sie schwärmen von dieser kargen, übersichtlichen und irgendwie wohl auch poetischen Spätwestern-Landschaft. Außer Beifuß scheint hier nicht viel zu gedeihen. Wenn Proulx mal wieder den unbedingten Individualismus eines ihrer Charaktere in ein paar Sätzen umreißt, der ohne diese Gegend gar nicht zu denken wäre, dann krautet da immer ein karges Beifußgestrüpp am Wegesrand. Die Autorin hat ja einen Namen, also konnte ihr das Lektorat wohl nicht so einfach „Nimm doch mal Büffelgras!“ an den Rand schreiben. Nein, denn ihr Lieblingsgesträuch hat ja zudem auch eine symbolische Funktion: Sind wir nicht alle dürregeplagter Beifuß in öder Wüstenei?

Man versteht nach der Lektüre dieser Storys aus Elk Tooth, Wyoming, die locker miteinander verbunden sind durch ein paar wiederkehrende Lokalitäten und Charakterköpfe, den Erfolg dieser Schriftstellerin. Sie verlangt nicht viel vom Leser, ihre landeskundlichen Anekdoten schnurren schön flink davon, sie hat einen eingängigen, leicht ironischen, aber eher freundlich-humoristischen Ton und lässt doch nie einen Zweifel daran, dass sie hier Kunst macht, indem sie sehr ökonomisch und immer etwas offensichtlich poetische Zeichen setzt: nie mehr als eine Chiffre pro Story, vom Beifuß mal abgesehen, und die immer deutlich erkennbar, manchmal schon in der Überschrift.

Proulx schreibt artifiziell etwas aufgebockte Unterhaltungsliteratur, was jetzt Proulx-Fans ärgern wird, wogegen aber nichts einzuwenden wäre, wenn man ihr die Prätention nicht so deutlich anmerkte, viel mehr zu wollen. Es bleibt dann aber dabei, weil fast alle dieser Geschichten ein Manko haben – sie sind nur ausgedacht! Natürlich professionell durcherzählt, etwa mit versteckten Vorausdeutungen handwerklich gut strukturiert, aber man hat zu selten den Eindruck, dass die Fiktion mehr ist als gut gemachte Fiktion, dass sie wirklich an den Ernstfall kratzt.

Obwohl ihre Protagonisten so farbig und blutvoll gezeichnet werden und vor Landeiervitalität geradezu dampfen, haben sie doch nie anderes gesehen als die Seiten dieses Buches. Wenn die robuste, rigide Barfrau Amanda Gribb zwei Krokodile aus Florida importiert, um ihren Garten vor den vorwitzig-gefräßigen Nachbarrindern zu schützen, oder wenn Buddy Milar weite Umwege in Kauf nimmt, weil er es nicht erträgt, dass ein Auto neben ihm fährt, sind das vielleicht hübsche Einfälle. Aber das Leben sieht anders aus, sogar in Wyoming.

„In Elk Tooth ist jeder bemüht ein Original zu sein“, schreibt Proulx einmal. Aber es ist wohl eher so, dass sie sich sehr darum bemüht hat, richtige Originale zu erschaffen. Diese Bemühungen sieht man ihnen leider an.

Zwei Storys fallen da heraus, in denen sie ihre freundlich ironische Apotheose mit einem gehörigen Schuss Melancholie abtönt. Die schon referierte vom Dickschädel Gilbert Wolfscale, der sich am Ende sogar um den ideellen Lohn seiner Arbeit geprellt fühlt. Und jene von dem zugereisten Ehepaar aus New York, Eugenie und Mitchel, die nach Wyoming ihren Altersruhesitz verlegen und in dieser Abgeschiedenheit genügend Ruhe haben, die schwelenden Konflikte ihrer Beziehung ordentlich anzufeuern, bis Eugenie wieder abreist. Man muss diese Gegend eben auch aushalten können.

Am besten ist es wohl ohnehin, man wird gleich hier geboren. Sogar Mitchel, der sich in dieses Land verguckt hat und sich ehrlich um Assimilation bemüht, muss das bald lernen. „Wie sieht es mit Ihren Zähnen aus?“ fragt ihn eine alteingesessene Rancherswitwe. „Scharf?“ „ ‚Das weiß ich nicht‘, sagte Mitchel, angesichts der sonderbaren Frage. ‚Warum?‘ ‚Suchen immer nach Leuten, die uns beim Lämmerkastrieren helfen.‘ “

Annie Proulx: „Hinterland. Neue Geschichten aus Wyoming“. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz. Luchterhand Verlag, München 2005, 255 Seiten, 19,90 €